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8. April 2016immer wieder
weiss nicht wie
wenn die tür
ins schloss fällt
falle ich mit ihr
in einer anderen liga
sagst du
spielen wir doch
schon lange
lass mich in ruh
die tür bleibt zu.
immer wieder
weiss nicht wie
wenn die tür
ins schloss fällt
falle ich mit ihr
in einer anderen liga
sagst du
spielen wir doch
schon lange
lass mich in ruh
die tür bleibt zu.
michael jackson war
der einsamste mensch
der welt & jetzt hör auf
zu jammern & schnür
deine schuhe & schmier
ein paar brote & pack
deine bündel & leg noch
etwas holz vor die hütte.
es gibt bessere
immer & du guckst
in die röhre & die strecke
auf der du geblieben bist
giesst öl ins feuer &
auf deine problemzonen,
zuckst nicht mal
mit der wimper.
Sowohl bei den Einkommen als auch bei den Vermögen gehe die Schere weiter auseinander und erreiche Rekordniveau - gerade auch in Deutschland, sagte der Ökonom Marcel Fratzscher im DLF. Die Armutsquote sei hierzulande deutlich gestiegen. Doch den Deutschen zu suggerieren, sie müssten den Gürtel wegen der Flüchtlinge enger schnallen, sei völlig falsch. Aufgrund der Überschüsse des Staates von 20 Milliarden Euro sei genug Geld da.
Marcel Fratzscher im Gespräch mit Benjamin Hammer
Benjamin Hammer: Die Reichen und Superreichen – sie werden immer reicher. Sagen mehrere Hilfsorganisationen. Und die Superreichen, das haben wir gerade gehört, verfügen weiterhin über ein enormes Vermögen. Marcel Fratzscher ist der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. In wenigen Wochen erscheint sein neues Buch. “Verteilungskampf”, heißt es, “Warum Deutschland immer ungleicher wird”.
Vor der Sendung habe ich Marcel Fratzscher diese Frage gestellt: Wenn wir das zunächst einmal global betrachten, stimmt es, dass die Kluft zwischen Arm und Reich weiter wächst?
Marcel Fratzscher: Die Schere zwischen Armen und Reichen geht weiter auseinander in den letzten Jahrzehnten. Es gibt natürlich immer Schwankungen. Auch die globale Finanzkrise hat natürlich auch die Vermögenden sehr hart getroffen. Aber es gilt: Sowohl bei den Löhnen, bei den Einkommen, aber auch bei den Vermögen geht die Schere weiter auseinander und erreicht mittlerweile wirklich Rekordniveau, und gerade auch in Deutschland. Deutschland ist das Land in der Eurozone mit der höchsten Ungleichheit bei privaten Vermögen. Es trifft vor allem auf Deutschland zu.
Hammer: Warren Buffett ist laut Forbes der drittreichste Mensch der Welt und am Wochenende hat sein Investmentfonds gemeldet, wir haben im vergangenen Jahr 24 Milliarden US-Dollar verdient. Warum steigern Milliardäre ihr Vermögen so scheinbar mühelos? Ist bestehendes Kapital da der beste Weg, um reich zu werden, reich zu bleiben?
“In Deutschland ist das Vermögen sehr konzentriert”
Fratzscher: Richtig ist, in den letzten Jahrzehnten hat sich es immer mehr gerechnet, Vermögen anzulegen, Erträge aus Vermögen zu erzielen, als durch eigene Hände Arbeit ein Einkommen zu erzielen. Das gilt nach wie vor. Aber Deutschland ist hier noch mal anders. In Deutschland ist das Vermögen sehr konzentriert, vor allem bei Familienunternehmen, und das bedeutet natürlich, dass sich gerade für die Vermögenden die Einkommenssituation deutlich verbessert hat.
Hammer: Bill Gates spendet sehr viel Geld für Projekte in Afrika und Mark Zuckerberg von Facebook hat neulich verkündet, er wolle 99 Prozent seines Vermögens spenden. Profitieren wir am Ende alle dann doch gemeinsam von diesen Superreichen?
Fratzscher: Das Problem ist nicht, dass Menschen viel Reichtum haben. Die Frage ist, was sie mit diesem Reichtum tun. Und wir sehen an vielen Beispielen bei den reichsten Amerikanern, Bill Gates, Warren Buffett und auch Mark Zuckerberg, dass sie damit sehr sinnvolle Dinge tun. Darum letztlich geht es. Es sollte nicht zu einer Neiddebatte werden, wo man den Reichen, den Milliardären das nicht gönnt, was sie erarbeitet haben, sondern das Augenmerk sollte wirklich auf den Bedürftigen liegen und die Frage, wie kann man diesen Menschen helfen, eigene Chancen zu entwickeln, unabhängig zu werden, mit der eigenen Hände Arbeit für sich sorgen zu können, und viele Amerikaner machen uns das vor. Ich glaube, da könnten auch wir Deutsche uns durchaus eine große Scheibe von abschneiden, denn in den USA das Geben auch der Reichen ist viel weiter verbreitet, als das in Deutschland der Fall ist.
Hammer: Aus verteilungspolitischer Sicht, welche Gruppe stellt uns vor die größeren Herausforderungen, die Superreichen der Forbes-Liste, oder die vielen Millionäre, die eher im Hintergrund agieren?
Fratzscher: Es sind weder die Milliardäre, noch die Millionäre, die das Problem sind. Denn ich glaube, wir müssen immer unterscheiden, was ist das für Vermögen, das Menschen aufgebaut haben. In Deutschland sind es ja vor allem viele Familienunternehmer, die vermögend sind. Aber was das Vermögen eigentlich ist: Es sind Maschinen, es sind Kapazitäten, die ja Arbeitsplätze schaffen. Das Problem per se liegt nicht darin, dass die oberen 0,1 Prozent oder ein Prozent zu viel haben, sondern das wirkliche Problem liegt darin, dass die unteren 40 Prozent so wenig haben. Das ist das Hauptproblem und gerade in Deutschland haben die unteren 40 Prozent praktisch überhaupt kein Vermögen, können gar keine Vorsorge betreiben, sind enorm abhängig vom Staat, landen sehr leicht in der Armut. Die Armutsquote in Deutschland ist deutlich gestiegen. Wir brauchen hier ein Umdenken. Natürlich sind die Superreichen sehr sichtbar, aber das wirkliche Problem ist vielmehr die unteren 40 Prozent.
“Wir brauchen mehr soziale Mobilität”
Hammer: Deutschland wird immer ungleicher, konstatieren Sie. Was müsste geschehen, damit der Trend aufgehalten wird?
Fratzscher: Man muss sich immer anschauen, wo kommt diese Ungleichheit her. Sicherlich trifft es zu, dass die Vermögenden durch ihr Kapital, ihr Vermögen dies sehr gut mehren können. Aber das Hauptproblem gerade in Deutschland ist, dass viele Menschen überhaupt keine Chance haben, für sich mit ihrer Arbeit sorgen zu können. Wir haben eine sehr geringe Chancengleichheit. Viele Menschen sind schon im frühen Alter, in Kindesjahren letztlich abgehängt und der Staat, das Bildungssystem, das Ausbildungssystem, der Arbeitsmarkt legt vielen Menschen in Deutschland unheimlich hohe Hürden in den Weg, was bedeutet, dass sie letztlich nicht für sich selber sorgen können, entweder keinen permanenten Job bekommen, oder schlecht bezahlte Jobs, prekäre Jobs, und das eine hohe Abhängigkeit vom Staat schafft. Hier muss der Staat ansetzen zu sagen, wir brauchen mehr Chancengleichheit, wir müssen alle Menschen mitnehmen, wir brauchen mehr soziale Mobilität. Das ist eigentlich die richtige Lösung. Zu sagen, wir nehmen den Oberen was weg, damit wir den Unteren was geben können, funktioniert nur begrenzt gut. Der Staat in Deutschland verteilt viel um, aber er macht es schlecht. Augenmerk sollte auf dieser Chancengleichheit liegen. Das ist das, wo es wirklich dran hapert.
Hammer: Wir schauen auf eine Debatte der vergangenen Wochen und Tage. Viele Flüchtlinge leben zunächst unter sozial schwierigen Bedingungen. Wird das die Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland verstärken?
Fratzscher: Viele Flüchtlinge werden auf lange Zeit in Deutschland bleiben. Viele davon haben geringe Qualifikationen, häufig noch keine Schulausbildung. Das wird sicherlich die Kluft zwischen Armen und Reichen vergrößern. Es wird mehr Bedürftige in Deutschland geben. Auch gerade deshalb muss die Politik darauf reagieren und sagen, wie können wir denn diesen Menschen die notwendigen Voraussetzungen geben, Qualifikationen geben, damit sie für sich selber sorgen können, dass die Kluft nicht größer wird. Dazu gehören natürlich auch die vielen Deutschen. Wir haben immerhin noch 2,7 Millionen Arbeitslose in Deutschland, viele Langzeitarbeitslose, die vergessen worden sind in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten bei den Reformen. Da muss die Politik ansetzen, damit es nicht zu einem solchen Verteilungskampf kommt.
“Ich halte das Sozialpaket für falsch”
Hammer: Der Vizekanzler, der SPD-Chef Sigmar Gabriel, der fordert ein neues Solidaritätsprojekt für “unsere eigene Bevölkerung”. Was halten Sie davon?
Fratzscher: Die Bundesregierung hat in den vergangenen zweieinhalb Jahren eigentlich nur ein Sozialpaket für Deutschland gemacht. Sie hat viele Wahlgeschenke ausgeteilt mit der Rente, der Rente mit 63 und so weiter. Ich halte das für kontraproduktiv. Genauso kontraproduktiv wie die Forderung von Herrn Schäuble für eine Steuererhöhung. Das ist fatal, weil die Politik damit einen Verteilungskampf schürt zwischen Einheimischen und Flüchtlingen. Es wird den Deutschen suggeriert, ihr müsst jetzt den Gürtel enger schnallen, weil die Flüchtlinge da sind. Das ist fatal und völlig falsch. Der Staat hat 20 Milliarden Euro Überschüsse gemacht im vergangenen Jahr. Es ist genug Geld da. Die Bedürfnisse der Deutschen, die ja völlig gerechtfertigt sind - viele, die sich sorgen, für unsere Kitas, für unsere Schulen, für die Infrastruktur ist kein Geld da. Das hat aber nichts mit den Flüchtlingen zu tun. Ich halte dieses Sozialpaket für falsch, für kontraproduktiv, und die Politik sollte unbedingt widerstehen, einen Verteilungskampf zwischen Deutschen und Flüchtlingen hochzustilisieren.
andere treffen sich
bei secret/
hab davon gehört/
männer sollen dafür
viel geld bezahlen/
nun lass mich
dein geheimnis sein/
zigarettenstummel in den müll
& lippenstift abgewischt/
den geruch aus dem fenster
gekippt/ charles bukowski
holt sich schon wieder
einen runter & applaudiert
danach euphorisch
aus dem himmel.
Monika und Henry Toedt waren wohlhabende Leute in Hamburg. Dann brach alles zusammen. Nun leben sie von Hartz IV und schreiben Briefe an Verbrecher in aller Welt. Und sind glücklicher als je zuvor.
Von Eva Sudholt
Das Ehepaar Monika und Henry Toedt pflegt weltweit Brieffreundschaften mit Gefangenen
Sebastian hat in der Silvesternacht seine Frau umgebracht. Er hatte zu viel getrunken. Er hatte Streit gesucht und gefunden. Dann hatte er sich das Küchenmesser gegriffen, das auf der Anrichte lag, und zugestochen, bis sie zu Boden ging. Sebastian wurde wegen Totschlags verurteilt, er sitzt seit fünf Jahren in der JVA Bamberg. Zurück blieben vier kleine Kinder.
Jennifer sitzt wegen Drogen in Texas. Sie spart für einen Trip nach Europa. Sie will die Heimat ihrer Freunde sehen, wenn sie bald freikommt. Bayern, die Alpen, vielleicht noch etwas Deutsch lernen vorher.
Heinrich lebt in der JVA Straubing. Er war Lehrer für Deutsch und Latein. Er vertont moderne Gedichte und hört Bayern 4 Klassik. Heinrich hat gerade seinen Röhrenfernseher gegen einen Flatscreen eingetauscht, man kann sich nicht ewig verschließen, wenn alles digital wird da draußen. Vor seinem Fenster will er im Frühjahr Krokusse pflanzen.
Eine grausame Tat
Seine Briefe schreibt er auf einer alten Reiseschreibmaschine. Liebe Moni, lieber Henry, blüht es bei Euch auch auf dem Balkon? Er wünscht noch einen weiterhin recht milden Winter, einen gemütlich-schmackhaften Abend und verbleibt mit ganz lieben Grüßen, Euer Heinrich.
Heinrich schreibt vom neuen DVD-Spieler, den er sich bei “Saturn” bestellt hat. Und vom Sonnenlicht, das so mild in sein Zimmer fällt. Nur was ihn hierhergebracht hat, darüber kein Wort. Moni und Henry fragen nicht nach. Man ist ja nicht auf der Welt, um über andere Menschen zu richten. Sie wissen, seine Taten müssen grausam gewesen sein. Heinrich hat lebenslänglich mit Sicherungsverwahrung. Wahrscheinlich ein Sexualverbrechen, wahrscheinlich nicht nur eines.
Manchmal beklagt Heinrich sein Schicksal, Gott habe ihn verlassen, niemand denke an ihn. Seine Frau ist gestorben, man sagt sich, aus Kummer.
Wir sind einfache Leute. Wir haben uns beide, und das ist viel mehr wert als ein Leben in Reichtum
Nur Moni und Henry sind immer noch da. Als sie ihn einmal besuchten, sechs Stunden mit der Bimmelbahn hin, sechs Stunden wieder zurück, für schnelle Züge reicht kein Hartz IV, da war Heinrich geradezu aufgekratzt, geplappert hat er wie ein Wasserfall und dann auch noch Volkslieder geschmettert.
“Herr Heinrich sitzt am Vogelherd …”, hilf mir mal, Moni, wie geht’s noch mal weiter?
“Ganz froh und wohlgemut.”
Wie schafft man es, von solchen Taten abzusehen? Nicht immer den Mörder, das Monster zu sehen? Henry sagt: “Man richtet den Blick auf den Menschen dahinter. Und der steht dort, wo wir selbst plötzlich standen. Am Rande der Gesellschaft.”
Vor ein paar Jahren haben Henry und Monika Toedt, beide 64, fast alles verloren, erst ihr Vermögen, dann alle Freunde. Und schließlich den einzigen Sohn. Nach einem Jahr Gram sagten sie: Entweder war’s das jetzt mit dem Leben oder wir müssen ganz neu anfangen.
Ihr Neuanfang steckt in einem Schulkinder-Ordner, der kaum noch zugeht. Ein Labrador-Baby im Gras vorne drauf, innen drin stecken Briefe von Serientätern. Von Drogenkurieren und Internetbetrügern. Von Kleinkriminellen und Schwerverbrechern. Von Heinrich und Jennifer und von Sebastian. Oder der armen Seele Beg Batiadar, der im “Bangkok Hilton” wohnt. So nennen sie dort den berüchtigten Knast.
Batiadar hat Drogen über Nepal nach Thailand geschmuggelt, um seiner Familie zu helfen. Darauf steht lebenslang schon bei kleinen Mengen, und lebenslang heißt dort hundert Jahre. Begs Handschrift ist ordentlich-mädchenhaft, er beginnt mit den Worten “My beloved Mom and Dad”, auch wenn er Henry und Moni noch niemals gesehen hat. Er trauert zurzeit um ein kleines Kaninchen, das er in seiner Zelle halten durfte. Als er vom Hofgang zurückkam, lag es tot auf der Pritsche.
Die meisten und längsten Briefe sind die von Shawna. Sie wurde in Phoenix, Arizona zum Tode verurteilt. Und brachte neuen Sinn in ihr Leben.
KEIN FERNSEHE, KEIN INTERNET
Dieses Leben findet in zwei kleinen Zimmern statt, im Mietshaus einer früheren Bundeswehrsiedlung. Moni und Henry gehen nur selten nach draußen, die Nachbarn kennen sie kaum, nur den einen von unten, der ein bisschen verrückt ist, so wie Markus, der Junkie, der ihnen seit langer Zeit schreibt. Markus lebt seit 20 Jahren in der forensischen Abteilung, er hat sich das halbe Hirn weggeschnupft und war in verschiedene Dinger verstrickt. Er hätte gerne Frau und Familie, wahrscheinlich wird daraus nie etwas werden.
Toedts haben kein Fernsehen, kein Internet. Nur ein altes Nokia-Handy für die wichtigsten Telefonate. Langeweile? Kennen sie nicht. Es gibt doch genug zu erzählen, auch nach 40 Jahren Ehe. Den Außenputz ihrer Siedlung verschandeln große dunkle Flecken, als seien aus den Fenstern mal Flammen geschlagen. Die Hausverwaltung sagt, die Mieter lüften zu schlecht und zu wenig.
Aber da kennt Henry sich aus, er ist ja vom Fach: Die Fassaden tragen Putz der 50er-Jahre, ein billiges Mörtel-Kunststoffgemisch, in dem sich die ganze Feuchtigkeit staut. Innen machen sich an Decken und Wänden schon Risse bemerkbar. Aber Henry sagt auch: “Wir sind einfache Leute. Wir achten auf so was nicht mehr. Wir haben uns beide, und das ist viel mehr wert als ein Leben in Reichtum.”
Toedts hatten sich mit Anfang 20 kennengelernt. Er war nicht so der Disco-Typ und hatte eine Annonce geschaltet. Erst schrieben sie sich, dann verliebten sie sich, nach einem Jahr haben sie geheiratet. “Und es nicht einmal bereut. Du musst mir jetzt zustimmen, Moni.”
“Das weißt du doch, Henry.”
Toedts hatten zwei Firmen in Hamburg. Sie leben jetzt in Hammelburg in Franken
Moni und Henry kamen gemeinsam zu Wohlstand. Ein Haus im gehobenen Hamburger Umland. In der Stadt verkauften sie teure Immobilien, eine zweite Firma kümmerte sich um Finanzierung, Versicherung, das ganze Drumherum. Freie Wochenenden kannten sie nicht, es gab immer nur Arbeit. Von dem Geld kauften sie Autos. Und eine Wohnung am Meer, die meistens verwaist war. Kauften 4000 Bücher für die Bibliothek, auch wenn zum Lesen nie Zeit war.
Dann auf einmal übernahmen sie sich. Ein Hausbau lief aus dem Ruder. Dazu platzten zwei sichere Geschäfte. Und schon brach alles zusammen. Die Schecks gesperrt, die Wohnungen unter dem Hammer, die Autos wurden kleiner und weniger. Privatinsolvenz. Hartz IV. Die Leute im Dorf stellten das Grüßen ein. Freunde riefen nicht mehr an.
Kurz bevor alles den Bach runterging, bezahlten sie noch für die Hochzeit des Sohnes. Dann mussten sie ihm beichten, das war es nun leider, wir haben nichts mehr. Er hat sich nie mehr gemeldet seitdem. Ein Brief, in dem sie ihn um Entschuldigung bitten, ließ er bis heute unbeantwortet.
Manches haben sie verkauft, um ein paar Schulden zu bezahlen. Vieles haben sie verschenkt, das fühlte sich irgendwie sinnvoller an. Sie trafen Menschen, denen es viel schlechter ging als ihnen. Sie boten ihnen Gespräche an, Lebenshilfe nannten sie es. Die Menschen bezahlten mit Dankbarkeit, mit einem Glas Marmelade, selbst eingekocht, einer gab auch mal 20 Euro. Es war immer genug zu tun.
Von Hamburg nach Franken, der Kirche wegen
Von den 4000 Büchern blieb eine Dürer-Bibel über. Man kann ja mal reinschauen, auch wenn man nicht glaubt. Sie schlugen ohne Hinsehen das Buch der Könige auf. Elias liegt unterm Ginsterstrauch. Er sagt: Oh Herr, ich mag nicht mehr.
Moni dachte, vielleicht kann man ja mal in ein Kloster gehen. Vielleicht findet man da einen Weg. Sie zogen sich für zwei Wochen nach Ettal zurück. Sie beteten mit den Mönchen. Es war eine fremde, tiefe Ruhe in ihnen, die sie so schnell wie möglich wiederhaben wollten.
Sie traten aus der protestantischen Kirche aus. Und in die katholische ein. Doch im evangelischen Norden gab es keine Gemeinde für sie, kein Auto war mehr übrig, um in die nächste zu kommen. Sie mussten, wegen der Stütze, erst noch beim Amt nachfragen. Es sprach nichts dagegen, Toedts durften umziehen. Raus aus der Diaspora ihres neuen Glaubens. Seitdem wohnen sie in Hammelburg, einer kleinen fränkischen Stadt ganz im Norden von Bayern.
Sie sind hier bis heute nicht heimisch geworden. Der Pfarrer ist ihr einziger Freund. Wir tun uns nicht leicht mit fremden Menschen, sagen sie. Neue Freunde zu finden ist schwer, wenn man von den alten enttäuscht worden ist.
Ich liebe das Oktoberfest-Bild! Ihr habt schöne Mädchen in Deutschland. Doch keiner ist so schön wie Ihr
In der ersten Zeit in der Fremde ist Henry Bürgerbus gefahren, alte Menschen von den Dörfern abholen, zum Arzt und zum Einkaufen bringen und später wieder zurück. Dann dachten Toedts an Arbeit mit Kindern, doch der Pfarrer fragte, warum denn nicht mit Gefangenen, mit Menschen, die niemanden haben? Er hatte selbst ein Gefängnis betreut. Von dort kannte er Sebastian, der seine Frau im Suff erstochen hat und heute nicht mehr sagen kann, warum.
Über erste Kontakte in Bayern bauten sie ein kleines Netzwerk auf, das von Asien bis nach Amerika reicht. Henry schreibt von den Weinbergen, vom Nürnberger Christkindlesmarkt und von der politischen Lage in Deutschland. Er schreibt von ihrer Hochzeitsreise damals nach Paris und wie sie Glücksmünzen am Place de la Concorde in den Brunnen warfen. Er schreibt über ihr altes Leben in Wohlstand und wie viel schöner ihr neues ist.
Manchmal zitiert er Patti Smith in seinen Briefen: Warum soll ich mich mit fremden Menschen über nichts unterhalten?
Er schreibt vom neuen Job, den ihm das Arbeitsamt aufgebrummt hat. Er steht jetzt immer um halb fünf auf, um Brötchen auf die Dörfer zu bringen. Moni kocht ihm jeden Morgen Tee, und wenn er zurückkommt, frühstücken sie. Wenn ihre Briefe ins Ausland gehen, schreibt Henry sie auf Deutsch mit Bleistift vor und dann mit blauer Tinte auf Englisch. Moni malt mit Buntstiften die Blumen aufs Papier. Sie lernt jetzt auch ein bisschen Englisch. Vor allem für Shawna aus Phoenix, Arizona.
Henry schreibt: “Hello honey, dearest sister”, auch wenn sie sich mehr wie ein Tochter anfühlt. Gerichtsakten zeichnen einen verworrenen Tathergang nach. Shawna Forde arbeitete 2009 für einen privaten Sicherheitsdienst an der mexikanischen Grenze. Manchmal versorgte sie das FBI mit Infos über Gangs aus der Gegend, die sich zu Drogen- und Waffendeals trafen. Eines Tages stürmte eine Gruppe Bewaffneter ein Haus an der Grenze. Darin befanden sich ein Mann, eine Frau und ein kleines Mädchen. Die Gruppe eröffnete gleich das Feuer, Mann und Kind waren sofort tot.
Arbeitsteilung: Henry Toedt schreibt die Briefe, Monika malt Blumen dazu
Die überlebende Frau gab später an, Shawna Forde sei beteiligt gewesen, sie identifizierte sie auf einem Foto. Shawna sagt, sie sei nicht einmal in der Nähe gewesen. Wer die Männer waren, FBI, Gangmitglieder, alles ungeklärt. Nur Shawna Forde wurde zum Tode verurteilt. Sie teilte sich früher mal eine Zelle mit Debra Milke, die zu Unrecht verurteilt worden war, ihren Sohn ermordet zu haben. Sie kam 2013 nach 23 Jahren in der Todeszelle frei.
Shawna Forde sitzt heute in Einzelhaft. Ihre Kinder haben den Kontakt zu ihr abgebrochen. Briefe sind die einzige Brücke zur Außenwelt. Sie betrachtet das Foto, das ihr Moni und Henry aus München geschickt haben. Sie schreibt: “Ich liebe das Oktoberfest-Bild! Ihr habt schöne Mädchen in Deutschland. Doch keiner ist so schön wie Ihr.” Manchmal verstehen sie den Slang in ihren Briefen nicht. Dann muss Shawna erklären: LOL = Laut lachen. – OMG = Oh mein Gott!
Ein letzter Lebenstraum
Nächstes Jahr, wenn die Rente kommt, wird alles etwas leichter. Vielleicht werden sie wieder umziehen. Für ihren größten Wunsch wird das Geld wohl nie reichen. Henry und Moni würden gerne ihre Freundin Shawna besuchen, doch ein Flug nach Arizona ist teuer. Bis dahin werden sie weiter schreiben. Pünktlich alle zwei Wochen. Das gilt für alle Gefangenen gleich.
Manche von ihnen sind eifersüchtig, wenn sie erfahren, dass sie nicht die einzigen sind. Viele brechen den Kontakt später ab, sobald sie aus der Haft entlassen sind. Sie wollen ihre Vergangenheit und alles, was damit zusammenhängt, hinter sich lassen.
Henry und Moni Toedt können das ganz gut verstehen.
www.welt.de/vermischtes/article150682052/Wenn-ein-Paar-sein-Glueck-bei-Verbrechern-findet.html