30.05.17, 20h, Romanfabrik// Maren Kames & Thorsten Krämer feat. Tobias Schmitt

26. May 2017

SALON FLUCHTENTIER NO. 5

Die 1984 geborene und in Berlin lebende Maren Kames gewann 2013 den 21. Open Mike. In ihrem Debütband Halb Taube halb Pfau (Secession Verlag, 2016) bezieht sie Klangcollagen ein, die sich mittels moderner mobiler Telefongeräte aufrufen lassen. Ihre Texte inszeniert sie oft raumgreifend, zuletzt im Rahmen einer audiovisuellen Ausstellung im Literaturhaus Stuttgart.

Dem 1971 geborenen Wuppertaler Thorsten Krämer wurden für seine literarische Arbeit unter anderem das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium der Stadt Köln zugesprochen. In seinem zuletzt erschienen Band The Democratic Forest (Brueterich Press, 2016) wählte Krämer Fotografien von William Eggleston zu Orten seiner Gedichte und durchreist Egglestons umfangreiche Arbeiten. Dabei stellt er sich der Frage: „Wie reisen Dichter, wie Fotografen?“

Tobias Schmitt wird mit seinen elektronischen Klangwelten den Abend bereichern.

Dienstag, 30. Mai / 20.00 UHR
Eintritt: 7 Euro (ermäßigt: 4 Euro)

YOGA

21. May 2017

Yo!
gaga
yo
g point
a-a-a

ENDSTATION HINTERLAND

21. April 2017

Der Vorzeigekapitalist J. D. Vance schreibt einen Bestseller über die verarmten weißen Landarbeiter in den Appalachen – und bringt die Frustrationen vieler Amerikaner in seltener Deutlichkeit auf den Punkt.

Vor zwei Jahren hätte wohl kaum jemand einen Blick in dieses Buch geworfen. Heute aber, nach dem Schock der amerikanischen Präsidentschaftswahl, schießt es in den Bestsellerlisten nach oben: “Hillbilly Elegie“ ist der wohl gelungenste Versuch, die Ursachen des radikalen Politikwechsels in Washington zu erklären.

Die zentrale Aussage lässt sich schnell zusammenfassen: Zwei Autostunden von der US-Hauptstadt entfernt beginnt eine Krisenregion, über die lange Zeit nur gespottet wurde. Mit dem “Fly-over-Country“ wollte sich kaum jemand beschäftigen, der an der Ost- oder Westküste oder an einem der vielen aufstrebenden Hightech-Zentren in den USA lebt. Abfällig bezeichnen die Städter die Menschen jenseits der Metropolen als “Rednecks“ oder eben “Hillbillys“, Rotnacken oder Hinterwäldler, zumeist weiße Landarbeiter, die wenig mit Wissensökonomie, Genderpolitik und Umweltbewusstsein anfangen können, dafür umso mehr mit Familienloyalität, dem Gewehr im Schrank und einem kühlen Bier am Abend.

J. D. Vance kennt beide Welten in Amerika: Der 32-Jährige ist Absolvent der Eliteuniversität in Yale und arbeitet als Risikokapitalanleger in Kalifornien. Finanziell gesehen zählt er zu den Erfolgreichsten seiner Generation. Zu den Besonderheiten des Juristen zählt seine Herkunft. Seine Familie lässt sich kaum vergleichen mit den Eltern und Großeltern seiner Kollegen. Das spürt der Aufsteiger auch nach Feierabend: Wenn sich seine Bekannten über die Vorzüge unterschiedlicher Weinsorten unterhalten, steht der Junge vom Lande meistens schweigend daneben und schenkt sich ein Budweiser-Bier ein.

Eine bittere Bestandsaufnahme

Vance ist in Middletown im Bundesstaat Ohio aufgewachsen, und seine eigentlichen Wurzeln liegen in den Appalachen Kentuckys, dort, wo es einst rau und herzhaft zuging und die Menschen heute in Apathie und Drogensucht versinken. Der junge Mann erzählt die Geschichte seiner eigenen Verwandtschaft mit irisch-schottischem Hintergrund und wirft einen schonungslosen Blick auf die vergessenen Staaten Amerikas.

Es ist eine bittere, zum Teil schwer erträgliche Bestandsaufnahme über das Leben in Armut – und zugleich eine Liebeserklärung an seine alte Heimat. Ein Bestseller, der den Nerv der Amerikaner zu treffen scheint. Oscarpreisträger Ron Howard beabsichtigt gar, “Hillbilly Elegie“ zu verfilmen.

Eine zentrale Rolle in Vance’ Kindheit spielt seine Großmutter, die aufmerksam darauf achtete, dass der Junge nicht auf die schiefe Bahn geriet – wenngleich sie selbst als Zwölfjährige mit dem Gewehr ihres Vaters auf Viehdiebe schoss und später ihren Ehemann mit Benzin übergoss und anzündete. Dass die ältere Dame nicht wegen Mordes im Gefängnis landete, verdankte sie offenbar nur dem beherzten Eingreifen ihrer Tochter, die ihren Vater rettete – und später den Drogen verfiel.

“Hillbilly Elegie“ ist eine Familienerzählung mit zahllosen Tiefpunkten und nur wenigen Hoffnungsschimmern. Über weite Strecken so trostlos, dass es nur schwer verständlich ist, wie es ein Familienspross zuerst nach Yale und später ins Silicon Valley schaffen konnte.

Der Name Donald Trump findet sich nicht. Wer aber genau in die Familiengeschichte hineinhorcht, ahnt, warum der heutige Präsident so spricht, wie er spricht. Vor allem während seines wüsten Wahlkampfes ahmte der schillernde Geschäftsmann genau die Tonlage nach, die unter den Hillbillys der Appalachen üblich ist. Das vermeintliche Rätsel um den Aufstieg des New Yorker Nicht-Politikers löst sich in “Hillbilly Elegie“ auf eindrucksvolle Weise auf.

Während aber der Immobilienmogul den Verarmten das Gefühl vermittelt, sie seien allesamt Opfer der Globalisierung, liest sich Vance’ Arbeit nicht wie eine Verteidigungsschrift. Die Verödung weiter Landstriche sei keineswegs nur die Folge eines dramatischen Strukturwandels und mangelhafter Wohlfahrt.

Chancen bleiben oft ungenutzt

Sehr genau beobachtet er auch die unzähligen eigenen Fehler der Betroffenen. In aller Ausführlichkeit kommen das verloren gegangene Arbeitsethos zur Sprache und die verbreitete Eigenschaft, das eigene Versagen anderen in die Schuhe zu schieben. Selbst dort, wo sich Chancen ergeben, bleiben sie oft ungenutzt. Ganz zu schweigen von der Drogensucht, die in einigen ländlichen Gegenden einer Epidemie gleicht.

Vance beschreibt eines der Grundprobleme des heutigen Amerikas: Die einfachen, aber relativ gut bezahlten Jobs fallen weg. Erst schlossen die Kohlereviere in den Appalachen, später die Stahlwerke in Ohio. Viele Arbeiter versuchten den Jobs hinterherzuziehen und begriffen zu spät, dass sie zu wenig in ihre eigene Ausbildung investiert hatten. Der gut qualifizierte Facharbeiter und die Fabrik, in der ebenso hochwertige wie konkurrenzfähige Produkte hergestellt werden, sind in der größten Volkswirtschaft der Welt zur Mangelware geworden.

Ein Scheinwerfer auf die Übersehenen

Der Rechtswissenschaftler und Vorzeigekapitalist Vance, der sich unerwartet in der Rolle eines Bestsellerautors wiederfindet, liefert keine Analyse ab, die die gesamte Misere Amerikas beschreibt. Die verwahrlosten Landarbeiter in Kentucky und West Virginia sind keineswegs die einzige Problemgruppe. Wie mit einem Scheinwerfer leuchtet Vance aber genau die Ecken aus, über die sonst hinweggesehen wird.

An dieser Stelle könnte sich der junge Autor zufrieden zurücklehnen, den Blick aus seinem geräumigen Büro auf den Pazifik genießen und dabei zusehen, wie sich die Tantiemen auf seinem Konto sammeln. Doch Vance will seinem Lebensweg eine weitere überraschende Wendung geben. Den jungen Mann zieht es zurück in seine alte Heimat: “Innerlich war ich nie ganz weg“, sagt der Autor. Aber jetzt sei es an der Zeit, seinen Leuten etwas zurückzugeben.

Als Risikokapitalgeber will er demnächst hoffnungsvolle Start-ups in Ohio auskundschaften und unterstützen. Außerdem will er im Gespräch mit den Einheimischen erfahren, was sich in den Jahren seiner Abwesenheit verändert hat. In örtlichen Zeitungen und Netzwerken gehen die Spekulationen über Vance’ Rückkehr allerdings weiter: In seiner alten Heimatstadt Middletown kursiert bereits das Gerücht, Vance wolle in absehbarer Zeit für ein politisches Amt kandidieren – vielleicht gar für den Gouverneursposten? Dazu hat Vance schnell eine Antwort parat: “Sag niemals nie!“

J. D. Vance: “Hillbilly Elegie“. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Gregor Hens. Ullstein, 304 Seiten, 22 Euro (gebunden).

www.haz.de/Sonntag/Tipps-Kritik/Tipps/Endstation-Hinterland

Salon Fluchtentier-PERFORMANCE

7. April 2017

Salon-Fluchtentier

Salon Fluchtentier No 4, Lesung
Romanfabrik, Hanauer Landstrasse 186
18.04.2017, 20h
Eintritt 7 Euro

31. March 2017

Das Eis ist zu dünn
vor allem
wenn die Sonne scheint

verschlingen wir die Liebesschwüre
nach einem langen Hunger
ohne zu zahlen

liegt eine SMS schwer im Magen
wie der Stein
der das Eis bricht.

Über gehetzten Ehrgeiz

21. March 2017

Fast alle, die ich kenne, singen das Loblied der Muße. Radtouren, Wanderungen, Museumsbesuche, Kochen, das sind Tätigkeiten, die ich liebe, aber ich übe sie nur selten aus. Wer hindert mich? Es gibt angeblich ein paar objektive Gründe, bei uns allen. Man muss ja Geld verdienen, obwohl bei vielen weniger reichen würde. Andere müssen dringend die Wohnung renovieren oder die Welt retten. Es gibt immer was zu tun.

Ich glaube, wir, die Gehetzten, belügen uns selbst. In Wahrheit haben wir eine Entscheidung getroffen. Wir haben genau das Leben gewählt, das wir führen und über das wir oft jammern. Die Dinge, die wir tun würden, wenn wir endlich mal Zeit hätten, bringen uns nämlich in der Regel keine Anerkennung. Diese nutzlosen schönen Sachen, das Wandern, das Spielen, was auch immer, steigern nicht unser Selbstwertgefühl, nur unser Wohlbefinden.

Ehrgeiz ist ja nicht schlecht. Eine Gesellschaft, in der es keinen Ehrgeiz gibt, wäre wahrscheinlich weniger komfortabel als unsere. Erfindungen, große Kunstwerke, große Unternehmen, meistens spielt dabei Ehrgeiz eine Rolle. Natürlich ist auch beim Ehrgeiz Übertreibung schlecht. Er lässt den Spitzensportler zum Doping greifen oder den Bankmanager zum Betrug, indem er Bilanzen frisiert, womöglich nur, um gut dazustehen. Ehrgeizig sind Männer wie Donald Trump oder Wladimir Putin, aber ehrgeizig waren sicher auch Albert Einstein oder Marlene Dietrich.

Ich muss zugeben, dass es eine Art Sucht ist. In mir spricht eine Stimme, die mich antreibt, manchmal hasse ich sie. In einem Interview des Magazins der Süddeutschen wurde dem Sänger Peter Maffay die Frage gestellt, warum er nicht kürzertritt. Maffay produziert seit 45 Jahren Alben “wie ein Akkordarbeiter”, fand der Interviewer. Maffay gibt unermüdlich Konzerte, leitet Stiftungen und steht jeden Morgen um acht in seiner Firma, vierzig Angestellte. Er hätte das finanziell nicht nötig. Es bringt auch karrieremäßig nicht mehr viel. Seine alten Fans werden ihm so oder so die Treue halten, viele neue werden wohl nicht dazukommen. Maffay erzählte von seinen Eltern, eine rumänische Geschichte, in der Folter und ein Selbstmordversuch vorkamen und in der über allem der Wille seiner Eltern stand, dass der Sohn es besser haben soll.

Der Interviewer zitierte den Schriftsteller Walter Kempowski: “Mit fünf Jahren half ich meiner Mutter beim Heißmangeln. Nachdem ich zum dritten Mal losgelassen hatte, schimpfte sie: Deinem Bruder Robert ist das nie passiert. That makes me tick.”

Die Arbeit macht meistens Spaß, bis zu einem gewissen Punkt, und danach machen manche trotzdem weiter. Ich glaube, die meisten, die so leben, wollen eine Urkränkung überwinden, einen Verlust, ein Defizit, sie wollen etwas beweisen, zum Beispiel ihren Wert. Dieser Hunger nach Wertschätzung sitzt so tief in ihnen, dass er niemals gestillt wird. Ist das Küchenpsychologie? Vielleicht.

Meine Generation ist die Generation, die bald in Rente geht. Jetzt kann man noch ein letztes Mal Weichen stellen. Endlich könnten wir tun, was wir immer mal tun wollten. Viele von uns werden einfach weitermachen. Die meisten haben nicht mehr viel zu gewinnen, vielleicht können sie ihren Status quo eine Weile verteidigen. Ein Autor könnte immerhin noch sein bestes Buch schreiben, manchen gelingt das erst in den späten Jahren. Wäre es nicht sinnvoller, Rad zu fahren und zu lesen? Aber man bleibt, wer man war. Die Zeit, die so knapp geworden ist, ignoriert man, bis eines Tages endlich Ruhe ist und es keine Zeit mehr gibt.

www.zeit.de/zeit-magazin/2017/10/ehrgeiz-hobby-zeiteinteilung-anerkennung-harald-martenstein

Stilblüten-Pop-Up im Brückenstrassenviertel// Mitte Mai

11. March 2017

Stilblüten@Brückenviertel – wir bauen Stilbrücken!
Am 13. & 14. Mai könnt ihr im gesamtem Viertel die schönsten Stilblüten pflücken: Pop-up-Ausstellung // Party // Walk of Style // Streetfood // Late-Night-Shopping // Markt im Hof und vieles mehr!

Auf die Socken, fertig, los!

13. February 2017

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Handgestrickte Socken, hochwertige Wolle, 25-30 Euro.

Alle Photos: Andreas Gärtner

Undercover-Mosaik-Spezial// Freitag, 17. Februar

8. February 2017

Salzburg ist nicht weit, Salzburg ist ein mosaik auf der Karte der Lesereihen und Literaturzeitschriften. Diesmal ist das mosaik-Team geladen, sich mit Salon Fluchtentier zu vermischen. Sie unterhalten einen Literaturblog und veröffentlichen Buchprojekte. Zeit und Freundschaft sind reif für Undercover + mosaik.

Ort: Elfer Music-Club
Klappergasse 5-7
Einlass: 19.00h
Eintritt: 5/3 €

Eine Veranstaltung von Salon Fluchtentier.
U.a. bin ich auf der Bühne.

Emanzipiert einsam

26. January 2017

Friederike Gösweiners Roman „Traurige Freiheit“ thematisiert die prekären Lebensumstände der „Generation Praktikum“. Hannah, die 30-jährige Protagonistin, zieht für ein journalistisches Volontariat nach Berlin und jobbt dort als Kellnerin. Ihre neue Freiheit wird zu einem Fall in die Tiefe. Riccarda Gleichauf hat das Buch gelesen.

“Traurige Freiheit“ von Friederike Gösweiner hat kürzlich den Österreichischen Buchpreis in der Kategorie Shortlist Debüt bekommen. Es ist ein wichtiger Text, weil er ein Thema anspricht, das viel zu wenig im öffentlichen Diskurs wahrgenommen wird. Er geht um die Kinder der 1980er, die „Generation Praktikum“, die doch eigentlich alles hat, die sich nun wirklich nicht beklagen kann.

Vordergründig ist es vielleicht so, dass auch AkademikerInnen über kurz oder lang eine gutbezahlte Arbeit finden, wenn sie sich nur richtig anstrengen. Dabei ist Vorsicht geboten. Die Arbeitslosenzahlen in Deutschland sinken laut Statistiken zwar fleißig, aber sie sprechen nicht davon, welche Jobs arbeitslose JournalistInnen zum Beispiel irgendwann aus der Not heraus annehmen. Hannah aus „Traurige Freiheit“, kurz vor dem vollendeten 30. Lebensjahr, sucht sich den für Frauen typischen Notnagelberuf aus. Sie wird Kellnerin in einem Café. In die Stadt Berlin ist sie gezogen, weil ihr freiheitsverheißender Ruf, aber vor allem ein Volontariat bei einer Zeitung sie dorthin lockt. Sie muss sich dafür von ihrer großen Liebe, einem Arzt, trennen, weil dieser weniger emanzipiert ist als sie selbst. Jakob versteht nicht, warum seine Freundin sich nicht von ihm aushalten lassen will, sondern ihren eigenen beruflichen Weg gehen möchte.

Die permanente Erinnerung an den Ex-Freund macht die Freiheit zu einer traurigen Freiheit oder vielmehr zu einer traurigen Einsamkeit. Mit Freiheit hat dieser Zustand nichts mehr zu tun. Es geht um die Einsamkeit als abgrundtiefe, bodenlose Emotion.

Dabei könnte sie auch kreative Kräfte wecken oder wenigstens produktive Wut. Stattdessen versinkt die Protagonistin nach Beendigung des Volontariats und ohne Jobaussichten in Hoffnungslosigkeit und rationalisiert diesen Zustand, um ihn damit gleichzeitig zu bagatellisieren – ein typisches Verhalten für AkademikerInnen:

„Vielleicht fühlten alle diese Aussichtslosigkeit, die sie fühlte. Vielleicht war dieses Gefühl normal. Vielleicht war das einfach das Erwachsenenleben, immer schon gewesen, und sie waren nur in keiner Weise darauf vorbereitet worden.“

Man muss schon laut werden

Auf eine Sache wird man als Geisteswissenschaftlerin im Studium auf jeden Fall nicht vorbereitet. Auf die Tatsache, dass da draußen niemand exklusiv auf dich wartet, dass es eine Illusion ist, dass du nur Bewerbungen schreiben musst, und schon nehmen sie dich mit offenen Armen. Man muss schon laut werden, Aufmerksamkeit erregen, Vitamin B haben oder zumindest einen Shitstorm im Netz provozieren, um sichtbar zu werden. Auch das erkennt Hannah irgendwann, als sie von einem öffentlich bekannten Journalisten im Café angesprochen wird. Ihr ist es wichtig, diesem interessanten älteren Mann direkt zu zeigen, dass sie keine Kellnerin ist, sondern sich nur hinter diesem Beruf versteckt, sich an ihn klammert, weil ihr sonst keine Chance gegeben wird, sich zu zeigen:

„Ich habe Zeitgeschichte studiert, sagte Hannah, während sie an der Bar hantierte, und wunderte sich über sich selbst, dass sie es nötig fand, dem Mann sofort klarzumachen, dass sie nicht nur Kellnerin war, sondern Akademikerin.“

Der weitere Verlauf der Geschichte ist klar vorgezeichnet, weil ein Klischee bedient wird, in dem leider viel Wahres steckt. Sie will den fremden, mächtigen Journalisten, Herrn Stein, inhaltlich von sich überzeugen – er sucht eigentlich nur das Eine. Vielleicht möchte er auch mehr, genießt ihre unterhaltsame und kluge Gesellschaft als Sahnehäubchen obendrauf. Letzlich kommt Hannah zusammen im Gespräch mit ihrer einzigen Freundin Miriam aber zu dem Schluss, dass „er sich für sie interessierte, als Frau, nicht oder zumindest nicht nur als Kollegin.“

Was sie bisher von Herrn Stein gehalten hat, ist blauäugig gewesen und typisch für ihren Charakter, ihre Art, positiv über die Welt zu denken. Immer viel zu viel zu erhoffen, und letzlich passiv in eine Warteposition zu verfallen, die sie in eine abhängige Situation, vergleichbar mit der einer Gewächshauspflanze, bringt. Als bedürftiges „Pflänzchen“ braucht Hannah jemanden, der sie regelmäßig mit Wasser und Licht versorgt. Bleibt das aus, wird der Boden spröde, die Luft knapp, und die Blätter welken.

Als Herr Stein zu seiner Familie in die Sommerferien fährt, beginnt für Hannah endgültig der Boden zu schwanken, weil ihr einziger energiegeladener Halt in der Großstadt sich als Luftschloss, als ein unwirkliches Gebilde noch nicht erwachsen gewordener, schambehafteter Kleinmädchenträume entpuppt. Aufwachen, möchte man der Protagonistin zurufen, und sie heftig an den Schultern packen. Der ungebremste Fall in die Tiefe ist aber vorprogrammiert, und es ist eine Schwachstelle des Textes, dass gerade die surrealen Szenen weiterhin linear erzählt werden. Ein Bruch mit der Form hätte eine Vielstimmigkeit erzeugt, den gehäuften inhaltlichen Klischees (Berlin = Freiheit, Frau = Kellnerin, mächtiger Mann = mögliches Karrieresprungbrett) eine Tiefendimension verliehen, und die bekannten Motive damit semantisch infrage gestellt. Die Protagonistin wäre interessanter, weil charakterlich vielschichtiger geworden. Aber das ist Geschmackssache, und linear verlaufende Texte sind, man denke an Bodo Kirchhoff, der den Deutschen Buchpreis dieses Jahr gewonnen hat, in Mode, und ja auch irgendwie angenehm, weil gut verständlich.

Das dreißigste Jahr. Unweigerlich muss man an die gleichnamige Erzählung von Ingeborg Bachmann denken, an dieses verflixte Jahr, und an die Stimme am Ende, die sagt: „Steh auf und geh, es ist dir kein Knochen gebrochen“. Bei Friederike Gösweiners Protagonistin kommt sie von innen heraus und drängt darauf, sich wieder in Bewegung zu setzen:

„Zeit zu gehen, dachte Hannah“.

Es ist spannend nicht zu wissen, wohin.

faustkultur.de/index.php?article_id=2920&clang=0