Ich war mit einer Frau zusammen, die von Hartz IV lebte - jetzt weiß ich, was es bedeutet, in Deutschland arm zu sein

4. October 2017

Dass Beziehungen nicht wie in Disney-Filmen sind, wusste ich zu Beginn meiner Studienzeit schon - dass die Unterschiede zur Realität aber so groß sind, dass man Disney eigentlich wegen grober Fahrlässigkeit verklagen sollte, musste ich erst noch lernen. Aber von vorn.
Ich war so jung und dumm, wie man es nur sein kann, als ich mein Studium begann. Als der Erste aus meiner Familie, der es an die Uni geschafft hat, hatte ich ein riesig aufgeblähtes Ego.

Ich wollte es den ganzen “Bonzenkindern” an der Uni zeigen. Sie sollten lernen, wie “die harte Realität” da draußen ist.

Stattdessen war ich es, der etwas Wichtiges lernen musste. Und zwar, dass ich in einer geschönten Filterblase aufgewachsen war. Und diese Erfahrung war ziemlich schmerzhaft. Sie begann an dem Tag, an dem meine Freundin in mein Leben trat - mittlerweile ist sie meine Ex.

Seit ihrem 18. Lebensjahr lebte sie abwechselnd von Bafög, Hartz IV und Kellner-Jobs

Ich lernte sie über eine Studiengruppe an der Uni kennen. Sofort ist mir aufgefallen, wie hübsch sie war. Doch von ihr überzeugt hat mich letztendlich etwas ganz Anderes.

Noch nie hatte ich jemanden getroffen, der so tough war, so leidenschaftlich in allen Dingen. Sie hatte meist so gut wie kein Geld und immer Stress mit dem Bafög-Amt. Von ihren Eltern bekam sie keine Unterstützung. Also suchte sie sich einen Job als Kellnerin - und geriet an einen Chef, der ununterbrochen anzügliche Witze machte. Zu guter letzt hatte sie auch noch im Studium zu kämpfen.

Auch wenn sie mit ihrer Situation nicht glücklich war, hat sie all das immer sehr gut gemeistert. Selbst als das Bafög-Amt Probleme machte und sie zeitweise nicht mal mehr Geld für Essen hatte, kam sie irgendwie klar.

Diese Probleme waren nichts Neues für sie. Ihre Eltern hatten nie Geld und haben sich mit Gelegenheitsjobs wie Putzen, Pakete ausliefern und Regale einräumen über Wasser gehalten. Irgendwann rutschten sie in Hartz IV ab.

Sie wohnte seit ihrem 18. Lebensjahr allein, finanzierte sich während der Schule abwechselnd durch Bafög, Hartz IV und Kellner-Jobs.

Trotzdem bekam sie ein Abi-Zeugnis, von dem ich nur hätte träumen können. Sie sprach drei Sprachen fließend und zwei weitere gut genug, um in den jeweiligen Ländern klar zu kommen.

Ihr Start ins Leben war weit schwerer als meiner, doch als wir uns kennenlernten, hatte sie schon weit mehr daraus gemacht.

Das imponierte mir. Um nicht zu sagen: Ich war total verknallt. So sehr wie noch nie zuvor.

Neben ihr kam ich mir klein und unbedeutend vor. Nicht mehr wie das kluge Arbeiterkind, das es den Bonzen zeigen würde. Ich fühlte mich bloß noch wie ein Kind.

Ihr Leben war ein stetiger Kampf, den sie nur verlieren konnte

Irgendwie hab ich es geschafft, dass auch sie mich gut fand. Und aus “betrunken auf Feiern rummachen” wurde eine richtige Beziehung. Weil ich so verliebt war und es uns beiden finanziell half, zogen wir zusammen.

Jetzt - wo eigentlich der Teil der Geschichte kommen müsste, wie sie trotz ihrer Vergangenheit erfolgreich wurde und wie toll es mit ihr und uns weiter ging, muss ich kurz innehalten.

Denn ich hab das damals wirklich geglaubt. Ich dachte: Sie ist so stark, der ganze Ballast kann ihr nichts anhaben, sie lässt das alles gar nicht an sich ran. Ich lag falsch.

Wer ein Leben lang kämpft, der fängt sich Narben ein. Wunden, die nie ganz verheilen und die plötzlich wieder aufgehen. Ich war zu jung und zu unerfahren, um damit richtig umzugehen.

In ihrem Leben gab es feste Regeln - eine Abweichung bedeutete Angst und Wut

Mit jemandem zusammenzuleben, der es gewohnt war, mit einem Minimum an Geld auszukommen, ist anders.

Da gab es die kleinen Dinge. Sie hat keine Getränke im Supermarkt gekauft, Wasser aus der Leitung reichte völlig. Penibel achtete sie darauf, dass sofort das Licht ausgeschaltet wurde, wenn man einen Raum verließ. Sie wusste genau, was das Minimum an Waschmittel war, das man benötigt, um die Kleidung sauber zu bekommen.

Das mag sich nur nach Marotten anhören. Doch es hatte etwas Zwanghaftes. Und wurde problematisch, wenn man sich nicht an ihre Regeln hielt.

In unserem Haushalt wurde lautstark darüber gestritten, wie lang das Licht an sein darf, dass die Cola auf dem Heimweg unnötig und das Waschmittel schon wieder leer war.

Für sie waren das keine lustigen Spartipps - für sie waren das lebenswichtige Regeln. Die sie sogar so tief verinnerlicht hatte, dass selbst wenn wir finanziell ganz gut dastanden, eine Abweichung von diesen Regeln Angst und Wut in ihr hervorrief.

Und da ging es nur um Kleinigkeiten. Das größte Problem war ein anderes: Das Essen.

In ihrer Familie war Essen immer ein Mittel, den Stress, den die prekäre Lebenssituation mit sich brachte, zu bekämpfen. Viel Fast-Food, viele Chips - typisches Wohlfühl-Stressessen.

Als wir zusammen wohnten, hat sie zu Beginn eigentlich nur Fischstäbchen gegessen. Wenn es stressig wurde, kamen noch Chips hinzu.

Es war nicht so, dass sie nicht wusste, dass es auch anders geht - aber sie konnte einfach nicht anders.

Sie fühlte sich danach immer schlecht, weil sie ja eigentlich nicht so wie ihre Familie leben wollte. Die starke, intelligente, erfolgreiche Frau, die sie war, kam nicht damit klar, hier so eine “Schwäche” zu zeigen.

Das Ergebnis war, dass sie sich nach dem Essen oft übergab. Über Umwege hat die Armut ihr also eine gefährliche Essstörung beschert.

Das Gefühl, immer die Beste sein zu müssen, um ja nicht so wie die Eltern zu enden, hat sie auch tief beeinflusst. Sie entwickelte einen großen Perfektionismus und hat sich selbst nichts verzeihen können.

Darunter litt sie sehr. Die Folge waren Depressionen, Wutanfälle und selbstverletzendes Verhalten. Offen zeigte sie nie etwas, doch als ihr Partner kannte ich die Narben an ihren Beinen, wo sie sich selbst geschnitten hatte.

Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Wann ich mit ihr weinen und wann ich hart bleiben musste. Womit ich ihr hätte helfen können, womit ich ihr geschadet hätte.

Wir haben uns oft gestritten. Damals dachte ich, es gehe wirklich darum, ob ich das Licht angelassen hatte. Jetzt weiß ich, dass sie einfach nur jemanden gebraucht hatte, der sie ernst nimmt und versteht. Das konnte ich damals jedoch nicht. Zu anders war meine Biografie, als dass ich verstehen hätte können, was sie durchgemacht hat.

Irgendwann trennten wir uns. Das hatte viele Gründe - wir waren zu jung zusammengekommen, ich hatte noch viel zu sehr mit mir selbst zu tun. Und auch wenn wir uns immer noch mögen, mussten wir uns damals eingestehen, dass wir nicht das sind, was der andere braucht.

Kein Märchen und kein Happy End

Aufhalten konnte sie das alles trotzdem nicht. Sie machte auch an der Uni einen Abschluss, von dem die meisten nur träumen können, lernte noch zwei weitere Sprachen fließend und ging auch beruflich ihren eigenen Weg.

Das klingt nach einem Happy End. Wir haben noch immer viel Kontakt und ich weiß: Sie ist nicht glücklich.

Ihre Kindheit und ihre Armut lassen sie nicht los, nur weil sie nicht mehr arm ist. Sie kämpft noch weiter, aber irgendwann - so sagt sie - ist auch ihre Kraft aufgebraucht.

Ich bin dankbar für die Zeit, die wir zusammen verbracht haben. Ich habe viel gelernt, ich bin weniger verschwenderisch und viel dankbarer für das, was ich habe. Ich verstehe auch viel besser, was es heißt, arm zu sein.

Lebenslange Armut hat weit weniger mit Geld zu tun, als man glaubt. Armut ist etwas, was man sein Leben lang in sich trägt. Es ist, wie wenn man in einen anderen Kulturkreis zieht. Man lernt die Regeln der anderen, kommt vielleicht sehr gut damit klar, doch da bleibt etwas, was die anderen nicht verstehen können.

Ich habe auch gelernt, dass die Menschen, die Arme und Hartz-IV-Empfänger pauschal für faul und dumm halten, einfach keine Ahnung haben.

Und vor allem habe ich gelernt, dass Armut uns allen schadet. Eine Frau wie meine Ex-Freundin ist stark und intelligent und hat der Welt viel zu bieten. Wenn sie Unterstützung bekommen hätte, wäre sie jetzt vielleicht jemand, über den man in der Zeitung lesen würde.

Aber weil sie in einer armen Familie aufwuchs, war ihr Weg steinig und sie wird ihr Leben lang kämpfen müssen.

Dadurch, dass wir in Deutschland solche Armut zulassen, zerstören wir nicht nur das Glück einzelner Individuen - es bleibt auch so viel Potential auf der Strecke, von dem wir alle profitieren könnten.

Da Armut noch immer mit vielen Vorurteilen verbunden ist, hat der Autor diesen Text unter Pseudonym geschrieben, um sich und seine ehemalige Freundin zu schützen.

So sieht Armut in Deutschland aus
► 4,4 Millionen Menschen in Deutschland beziehen Hartz IV.
► Fast 2 Millionen Kinder leben in Familien, die auf Hartz IV angewiesen sind, sind.
► 12,9 Millionen Menschen in Deutschland sind arm, warnt der Paritätische Wohlfahrtsverband.
► 22,5 Prozent der Beschäftigten in Deutschland verdienen unter 10,50 € die Stunde

www.huffingtonpost.de/gero-raske/hartz-iv-armut-freundin-frau-sudium_b_18148342.html

auf den putz

1. October 2017

wir müssen jetzt die hosen
herunterlassen- wer heute sagt,
er liebt nicht mehr
der wird anschliessend konsequent ausgemustert, die guten ins töpfchen,
die schlechten ins kröpfchen, nur wer es
ernst meint, darf hier bleiben &
gib fein acht: die zeit, sie läuft und läuft
wie der rotz aus den nasen meiner ungeborenen kinder.

Siegfried Kärcher Kunsttage im Radom auf der Wasserkuppe 2017

25. August 2017

Endlich sind Siegfried Kärcher und seine Freunde wieder im Radom! Die Kuppel wird mit Klang und Projektionen zu einem Tempel der Kunst.transformiert. Der weltweit einmalige Hall des Orts ins Geschehen einbezogen. Ein Erlebnis für alle Sinne!

26. August bis 27. August
jeden Tag ab 11h

Wasserkuppe Rhön
im Radom

Siegfried Kärcher (Audiovisuals + Live Electronics / Frankfurt)
Amidis (Analog Machines In Digital Space / Essen)
Julia Mantel (Lyrics / Frankfurt)
Die Kybernauten (Special Radom Live Set / Würzburg)
Falk Ziebarth (Fotografie / Treischfeld)
Very Special Guests

Siegfried Kärcher spielt das Instrument ARQ von Zoom Japan LIVE vor Ort.

Passend zu UNVERMITTELBAR

12. August 2017

FEE: Einzimmerwohnung

www.youtube.com/watch?v=lphOt99J2P4

www.feemusik.de

Das Lyrikerkollektiv „Salon Fluchtentier“ macht sich seinen Reim auf die Wirklichkeit

24. July 2017

Auch wenn Lyriker die Beine schwingen, kommen Gedichte dabei heraus. „Salon Fluchtentier“ weiß, wie’s geht.

Eine gesellige Stimmung herrscht beim Treffen des Künstlerkollektivs „Salon Fluchtentier“ auf der Dachterrasse der Romanfabrik im Frankfurter Ostend. Es wird viel gelacht. Die Mitglieder bereiten die fünfte Veranstaltung ihrer Reihe für zeitgenössische Lyrik vor. Eingeladen haben sie die 1984 geborene Berliner Dichterin Maren Kames und den 1971 geborenen Wuppertaler Thorsten Krämer. Seit 2015 holen die „Fluchtentiere“ junge Lyriker nach Frankfurt. „Wir versuchen, die deutschlandweit Besten zu kriegen“, sagt der Lyriker Yevgeniy Breyger. Vorschläge werden gruppenintern diskutiert. Entschieden werde basisdemokratisch, sagt Robert Stripling, der als Sprecher der Gruppe fungiert.

„Salon Fluchtentier“ organisiert Lesungen, aber auch Abende zwischen Dichtung, Musik und Kunst. „Es ist uns ein Bedürfnis, ein unabhängiges Programm zu schaffen“, betont Stripling. In Frankfurt gäbe es, anders als in vielen sonstigen deutschen Städten, keine unabhängige Lesereihe für Lyrik, erläutert Breyger. Gleichwohl spreche man sich mit anderen Literaturveranstaltern in der Stadt ab. Im Rahmen der vom Kulturamt ausgerichteten „Frankfurter Lyriktage“ veranstaltete „Salon Fluchtentier“ kürzlich einen Lesungs- und Gesprächsabend mit den Autoren Hendrik Jackson und Marcus Roloff. Der dafür genutzte Elfer Music Club in Alt-Sachsenhausen ist für die Gruppe schon fast ein angestammter Ort. Neben den Lesungen in der Romanfabrik finden dort regelmäßig Gespräche statt, die das Publikum einbeziehen sollen.

Überdies trifft sich das Kollektiv regelmäßig im privaten Rahmen, um eigene Lyriktexte zu besprechen. „Dann darf es auch ausarten“, scherzt Robert Stripling. Die Ursprünge von „Salon Fluchtentier“ lägen in der 2013 entstandenen Gruppe „Dichtungsfans“, erzählt unterdessen Jannis Plastargias. Der lose Verbund, zu dessen Gründern neben Plastargias auch Julia Mantel, Marcus Roloff und Martin Piekar zählten, diskutierte ebenfalls eigene Texte, füllte aber auch Kneipen und Clubs mit Lyrikveranstaltungen. Die „Dichtungsfans“ gingen an Orte, wo man Lyrik zunächst nicht vermutet. Sie hatten nicht etwa vor, mit dem Frankfurter Literaturhaus oder dem Literaturforum im Mousonturm zu konkurrieren. „Wir wollten etwas Anderes machen“, erinnert sich Jannis Plastargias.

Mit der Zeit kamen neue Mitglieder wie Breyger und Stripling hinzu, schließlich bekam die Gruppe ihren heutigen Namen. „Der Gedanke, das Stadtgeschehen an verschiedenen Orten zu beleben, ist geblieben“, sagt Robert Stripling. Man wolle weiterhin ein Publikum an Orte bringen, das normalerweise nicht viel mit Dichtung im Sinn hat. Gleichwohl sei „Salon Fluchtentier“ anspruchsvoller geworden, konstatiert Plastargias: „Wir achten mehr auf Qualität.“ Heute agieren in der Gruppe sowohl erprobte und in der Szene präsente Lyriker wie Yevgeniy Breyger, Alexandru Bulucz, Martin Piekar und Robert Stripling, als auch neue Stimmen wie Caroline Danneil und Nils Brunschede.

Mit Yevgeniy Breyger, Olga Galicka, Julia Grinberg und Daniel Jurjew sind überdies mehrere ursprünglich russischsprachige Dichter dabei, die ihre Texte hauptsächlich auf Deutsch schreiben. Vielleicht auch deshalb widmete „Salon Fluchtentier“ der „vielzitierten sowjetischen Seele“ eine eigene Veranstaltung. Vor einigen Wochen wurde in der Romanfabrik deutsch- und russischsprachige Lyrik gelesen, es wurde gesungen, getanzt und auch etwas Wodka getrunken. Zu den Gästen des augenzwinkernd „Back to CCCP“ („Zurück in die UdSSR“) betitelten Abends gehörte unter anderen der Frankfurter Schriftsteller Oleg Jurjew. Er las kurze Prosastücke, aber auch auf Russisch verfasste Gedichte, deren deutsche Übersetzung sein Sohn Daniel vortrug.

Außerhalb Frankfurts war „Salon Fluchtentier“ indes noch nicht aktiv. „Wir sind ein stadtspezifisches Projekt“, betont Robert Stripling. Martin Piekar sieht die Stadt auf einem guten Weg: „Frankfurt hat sich in den letzten Jahren erneut als Knotenpunkt für junge Lyrik etabliert.“ Es gäbe neue Stimmen, ergänzt er. Verlage für junge Lyrik seien in Frankfurt aber rar, stellt die Gruppe fest. Lediglich der Verlag Gutleut wird beispielhaft genannt. Eine wichtige Adresse für junge Lyrik sei der Berliner Verlag Kookbooks. „Im Prinzip ist es egal, in welcher Stadt der Verlag sitzt“, sagt Yevgeniy Breyger. Ohnehin liefen viele Diskussionen über Lyrik heute in sozialen Netzwerken, wie zum Beispiel Facebook, ab. Dadurch werde der überregionale Austausch einfacher, berichten die Gruppenmitglieder.

Die Vernetzung verdichtet die zeitgenössische Lyrikszene: „Wir puschen uns jetzt gegenseitig“, weiß Jannis Plastargias.

www.fnp.de/nachrichten/kultur/Das-Lyrikerkollektiv-bdquo-Salon-Fluchtentier-ldquo-macht-sich-seinen-Reim-auf-die-Wirklichkeit;art679,2718668

Klagen

10. July 2017

& im Geheimnis machst du es
Dir bequem, verlässt die Pfade
der Gewohnheit nie, hast Angst
vor den anderen, die es besser
wissen könnten, möchtest
alle Seiten leben &
schlägst doch das Buch zu.

Bleistiftrock

4. July 2017

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BLEISTIFTROCK// 95 % Baumwolle, 5% Elasthan, Grösse 36-42, Handarbeit// 165 Euro

alle Photos: Nina Werth

Höchster Designparcours// Sommer 2017

28. June 2017

Der Höchster Designparcours findet zum 10. Mal von Sa 01. bis So 02. Juli 2017 – zeitgleich mit dem Höchster Altstadtfest der Vereine – statt.

Der Höchster Designparcours bietet einen einzigartigen Überblick über die regionale Designer- und Kreativszene. Kommen Sie ins persönliche Gespräch mit den Kreativen, lernen Sie neue Designprodukte kennen und entdecken Sie gleichzeitig unbekannte Orte, die sonst für die Öffentlichkeit verschlossen sind.

Öffnungszeiten: Sa und So 12-20 Uhr.

UNVERMITTELBAR hat einen Stand in der Bolongarostrasse 117 (Hinterhaus).

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Warum Lyrik?// Frankfurter Lyriktage

13. June 2017

“Lyrik ist die herrlichste Literaturgattung, die es gibt“, sagt Roloff, Jahrgang 1973, in seinem Gastbeitrag. Der Frankfurter hat vier Gedichtbände veröffentlicht und nimmt natürlich auch an den Lyriktagen* teil.

GASTBEITRAG (13. Juni 2017 Marcus Roloff):

Vielleicht ist es ein bisschen wie früher auf dem Schulhof, als man sich noch über die Songs in den Charts Gedanken machte: Entweder sie packten einen oder nicht. Hier wurde (und wird) in dreieinhalb Minuten großes, uns alle angehendes Geschehen abgehandelt, und zwar in aller Regel schmerzfrei und eingängig, etwas, das man später gern mal als unterkomplex von sich wies. Als das Gegenteil hiervon ist nun die so genannte Gegenwartslyrik vielgerühmt und -geschmäht. Neben dem großen Thema (Un-)Verständlichkeit leben in unser aller Hirn die Generationen untoter Deutschlehrerinnen weiter, denen wir es verdanken, dass wir uns gegen das Gedicht vollkommen verbarrikadiert haben. Denn dieses Kulturgut scheint ausgesprochen schlecht zum Leben von Zehn- bis Achtzehnjährigen zu passen. Wenn das stimmt, denke ich mir, muss es ein Schlupfloch geben, so ein Luftloch, das aus dem Dunkel der Abwehrhaltung hinausführt. Aber wie notwendig ist solcher Art Frischluft, die uns die Lyrik zufächelt? Ist es überhaupt frische, Neuigkeiten enthaltende Luft, die von Gedichten ausgeht? Ich meine (in beiden Fällen): ja. Wenn sie nicht nur verquast und selbstverliebt ist, kann Lyrik uns eine Menge sagen, über uns, unsere Herzensangelegenheiten, die Welt in der wir leben, Orte und Zeiten. Sie ist quasi die geflüsterte Tonspur, die sich uns mitteilt, wenn wir schlafen, wachen oder in Jogginghosen durch unsere Pausen laufen. Im besten Fall kann man sich Romane, Serien oder Doku-Soaps sparen, da hier auf engstem Raum etwas Platz hat, das durch Hören und Sagen seinen ganz eigenen Sog entwickelt. Das Gedicht ist durchaus mehr als etwas im Rausch für Berauschte Erzeugtes, es ist ein Sprachkunstwerk von schierer Klarheit, das auch Aufschluss gibt über sich und seine Bedingungen. In ihm haben philosophisch verspulte Gedankengänge und historisch-kritische Herleitungen ebenso Platz wie die einfache Liebeserklärung oder Gesang. Insofern es ihm gelingt, Ding und Begriff zu vereinen und uns zu packen, ist Lyrik die herrlichste Literaturgattung, die es gibt.

* Die Lyriktage finden vom 22.6. bis zu,m 1.7. statt.
Infos:

www.frankfurter-lyriktage.de/intro/

Unter der Armutsgrenze

3. June 2017

Das Haus der Poesie hat Lyriker nach ihrem Einkommen befragt.

Von Ijoma Mangold

Das Berliner Haus für Poesie hat 200 Dichtern einen Fragebogen geschickt, um ein Bild davon zu gewinnen, wie es um die finanzielle Situation der Dichtung in Deutschland bestellt ist. 114 Lyriker haben geantwortet. Auch wenn das Ergebnis keinen überraschen dürfte, ist es doch aufschlussreich, die ökonomische Seite des Dichterlebens einmal in aller prosaischen Klarheit vorgeführt zu bekommen. Drei Viertel der Befragten, teilt das Haus für Poesie mit, leben mit einem Jahresbruttoeinkommen unter dem Bundesdurchschnitt von 32.486 Euro. 77 Prozent erzielen mit ihrer schriftstellerischen Arbeit 10.000 Euro und weniger, beziehen also den größeren Teil ihrer Einkünfte aus anderen Tätigkeiten. 45 Prozent der Lyriker, die keiner anderen Beschäftigung nachgehen, leben unterhalb der Armutsgrenze, die bei 11.759 Euro im Jahr liegt.

Die Künste sind, was ihre Refinanzierung betrifft, höchst unterschiedlich. Die bildende Kunst hat einen geradezu midasartigen Markt hervorgebracht, der alles zu Gold verwandelt, was er anfasst. Zeitgenössische Komponisten leben von öffentlichen Aufträgen, Theaterautoren von Tantiemen. Für Romanautoren gibt es einen funktionierenden Markt, bei dem zumindest jeder eine Chance hat, sein Glück zu probieren. Lyriker hingegen nehmen, von wenigen Ausnahmen wie Jan Wagner abgesehen, gar nicht teil am Buchmarkt. Ihre Bücher haben Auflagen von unter 1000 Exemplaren. Ihre Kontoeingänge stammen nicht von Verlagen, sondern von Lyrikveranstaltern.

Das durchschnittliche Honorar für eine Lesung liegt zwischen 250 und 350 Euro. Deshalb fordern die Lyriker jetzt ein Grundeinkommen und bessere Ausstattung von Lyrikveranstaltern und entsprechende Mindesthonorare. Man kann das gut verstehen. Aber will man wirklich eine Gesellschaft, in der jeder einen Anspruch darauf hat, von dem, was seine Herzensangelegenheit ist, leben zu können? Dann müsste es staatliche Institutionen geben, die entscheiden, wer offiziell als Lyriker und damit als Leistungsempfänger anerkannt wird. Gottfried Benn ging jeden Tag in seine Praxis für Haut- und Geschlechtskrankheiten. Natürlich hat er geklagt, seine Lyrik hat davon eher profitiert. Vielleicht ist es ja sogar ein Privileg, dass sich Lyrik nicht pekuniarisieren lässt? Für die bildenden Künste ist ihre extreme Kapitalisierbarkeit längst zu einem schleichenden Gift geworden, bei dem der Inhalt eines Kunstwerks sein Preis ist.

www.zeit.de/2017/23/lyriker-einkommen-berliner-haus-fuer-poesie