Poesieabend Ende Januar in der Brotfabrik/ Berlin

5. December 2017

Freitag 26.01.2018 • 19.30 Uhr • Neuer Salon

»Beständig unbeständig« – Musikalische Lesung mit Julia Mantel, Lutz Steinbrück und Bastian Winkler

Julia Mantel, Lutz Steinbrück und Bastian Winkler treffen sich an diesem Abend in der Brotfabrik und präsentieren Poesie mit Tiefgang, Witz und Absurdität. Ihre Texte fußen in Alltags- und Beziehungsgeflechten, suchen schräge Perspektiven, ohne diese zu erzwingen. Alle drei überführen solche Suchbewegungen in ihren Gedichten gekonnt auf je ganz eigene Weisen in zum Widerspruch herausfordernde, klare wie anschlussfähige Bilder und Aussagen. Unruhe, Getriebenheit und schnelllebige Wechsel prägen das Programm dieser Texte – als Zeichen am Puls ihrer Zeit. Lutz Steinbrück begleitet die Gedichte mit aktuellen Songs.

Julia Mantel (*1974), Studium der angewandten Kulturwissenschaften in Lüneburg. Seit 2000 Publikationen in zahlreichen Anthologien. Lebt als Autorin, Sprecherin und Strickkünstlerin in Frankfurt am Main. Sie veröffentlichte die Lyrikbände »new poems« (Verlag im Proberaum, 2008) und »dreh mich nicht um« (Fixpoetry, 2011), im Frühjahr 2018 erscheint »Der Bäcker gibt mir das Brot auch so« in der Edition Faust.

Lutz Steinbrück (*1972) sieht, umtönt und durchdrungen von lautstarken Behauptungen, die es täglich zu entdecken und abzustreifen gilt, seine Gedichte als individualistischen Ausdruck von Selbstvergewisserung und erfindet Fluchtmöglichkeiten aus einer weltlichen Anstalt. Geboren in Bremen, lebt er mittlerweile in Berlin als Autor, Journalist und Musiker der Band »neustadt«. Momentan arbeitet er am ersten Soloalbum, dessen Songs unironische Intimitäten nicht scheuen. Er veröffentlichte die Gedichtbände »Fluchtpunkt: Perspektiven« (Lunardi Verlag, 2008) und »Blickdicht« (Verlagshaus Berlin, 2011).

Bastian Winkler (*1977) dichtet sich frei von schlechter Atmosphäre, sucht das Weite durch Ahnenflucht, steigt nicht ins Auto von Vertrauten und fährt 0,5-herzig den Berg der Verwerfung hinauf. Geboren bei Hannover, lebt und arbeitet er aktuell in Berlin, Studium am Hildesheimer Institut für literarisches Schreiben. Veröffentlichungen in Zeitschriften (u. a. Bella Triste und Randnummer) sowie Anthologien (u. a. Jahrbuch der Lyrik 2011). 2003 erschien der Gedichtband »quengelszungen« bei Clamot. Zudem ist er Sänger, Texter und Gitarrist der Band »BUM!«

Eintritt: 6,- / ermäßigt 4,- Euro

Jobcenter zahlt Bettler weniger Hartz IV

22. November 2017

In der Fußgängerzone ertappt

Wenn das Hartz-IV-Geld nicht reichte, ging Michael Hansen aus Dortmund betteln. Bis ihn eine Mitarbeiterin des Jobcenters auf der Straße erkannte.

Michael Hansen will eigentlich nicht mit seinem Hund Molly in einer Dortmunder Fußgängerzone sitzen und schnorren, wie er das nennt. “Man wird beleidigt, die Leute gucken mich komisch an”, sagt der 50-Jährige. Er bettelt trotzdem, an mehreren Tagen im Monat. Das Hartz-IV-Geld sei knapp, sagt Hansen. Früher habe er bei einer Zeitarbeitsfirma gejobbt. Doch jetzt habe er Durchblutungsstörungen und Schmerzen im Bein. Hansen ist seit einigen Jahren arbeitslos und wenn er sich zum Beispiel für seine Wohnung “was Neues leisten” wollte, setzte er sich in die Fußgängerzone und bettelte.

Das ging gut, bis ihn eine Mitarbeiterin des Jobcenters erkannte. Im Juli bekam Hansen einen Brief: Er halte sich regelmäßig in der Dortmunder Innenstadt auf und erziele dort Einnahmen aus einer “privaten Spendensammlung”, heißt es in dem Schreiben des Jobcenters. Er sei verpflichtet, die Höhe der Einkünfte nachzuweisen.

So beginnt eine Geschichte, die Hansen bundesweit bekannt gemacht hat, seit die “Ruhrnachrichten” über ihn berichteten. Sie wirft die Fragen auf, wie penibel der Staat mit seinen Steuergeldern umgehen muss und wo die Grenze zwischen einem würdigen und unwürdigen Alltag von Menschen verläuft, die zu den ärmsten dieser Gesellschaft gehören.

Das Jobcenter schätzte, dass Hansen beim Betteln im Schnitt täglich zehn Euro einnahm und zahlte ihm und seiner Frau vorläufig 270 Euro weniger im Monat. Hansen kontaktierte eine Anwältin, die er zufällig in der Fußgängerzone kennengelernt hatte. Und die legte Widerspruch ein: Hansen bekomme maximal sechs Euro am Tag und bettle an höchstens 20 Tagen im Monat.

Deshalb sollen ihm nun nur noch 90 Euro abgezogen werden. “Das konnte er hinnehmen”, sagt Hansens Anwältin Juliane Meuter.

Doch dann kamen zwei weitere Briefe des Jobcenters: Hansen solle seine konkreten monatlichen Einnahmen nachweisen und sich bei der Gewerbemeldestelle erkundigen, ob er eine “meldepflichtige Tätigkeit” ausführe - und gegebenenfalls ein Gewerbe oder eine freiberufliche Tätigkeit anmelden.

Da reichte es seiner Anwältin. “Er sitzt ab und zu in der Fußgängerzone herum und soll ein Einnahmenbuch führen wie ein Kleinunternehmer?”, fragt Meuter. “Das ist unverhältnismäßig und unverschämt.”

Das Jobcenter in Dortmund sieht das anders. Um eine “ausgewogene Entscheidung im Einzelfall” treffen zu können, welche Einkünfte man anrechnen müsse, brauche man “verwertbare Auskünfte”, sagt Sprecher Michael Schneider. Es sei deshalb erforderlich und auch zumutbar, dass Hartz-IV-Bezieher ihre Einnahmen offenlegten.

Dass das auch Bettler trifft, ist höchst selten. Der Bundesagentur für Arbeit ist nur ein ähnlicher Fall aus Göttingen bekannt, wo ein Mitarbeiter des Sozialamts 2009 einen Hartz-IV-Empfänger beim Betteln erkannte und seine Leistungen kürzte. Nach viel öffentlicher Entrüstung ließen die Behörden davon wieder ab.

Es gibt keine Statistik darüber, wie viele Hartz-IV-Empfänger betteln gehen. Doch Sozialverbände kritisieren seit Langem, dass die Grundsicherung zu niedrig sei. Der Regelsatz sei nicht fair berechnet, sagte der frühere Caritas-Vorstand Georg Cremer SPIEGEL ONLINE im August. Er müsse um 60 Euro im Monat höher liegen.

Um was es sich bei den Almosen handelt, die sich manche Hartz-IV-Empfänger “dazuverdienen”, ist strittig. Ist das Betteln eine “Erwerbstätigkeit”, für die in der Regel ein Freibetrag von 100 Euro gilt? Oder geht es um “Zuwendungen, die ein anderer erbringt, ohne hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht zu haben”? Die werden nicht angerechnet, wenn das für den Hartz-IV-Empfänger “grob unbillig” wäre oder wenn sie seine finanzielle Lage nicht allzu “günstig” beeinflussen.

Was das genau heißt, entscheiden die Behörden im Einzelfall - oder gar nicht. Es gebe rund sechs Millionen Hartz-IV-Empfänger bundesweit, und die Mitarbeiter der Jobcenter fragten gewöhnlich nicht nach, wer davon betteln gehe, heißt es aus der Arbeitsagentur. Die Hartz-IV-Sätze seien schließlich so festgelegt, dass ihre Empfänger damit zurechtkommen sollten.

Wo also kein Kläger, da auch kein Richter. Und in der Praxis sei es zudem schwierig, Einnahmen aus der Bettelei zu überprüfen, sagt Sozialrechtlerin Minou Banafsche von der Universität Kassel. “Die Jobcenter haben zwar das Recht dazu, und die Betroffenen haben grundsätzlich auch eine Mitwirkungspflicht, aber die konkreten Einnahmen lassen sich im Einzelfall de facto wohl kaum korrekt nachweisen.”

Ein Einnahmenbuch, wie es das Jobcenter Dortmund verlangt, wäre deshalb wenig aussagekräftig - und Michael Hansen weigert sich bisher auf den Rat seiner Anwältin ohnehin, ein solches zu führen.

Er sitze jetzt fast jeden Tag in der Fußgängerzone, sagt Hansen. Er brauche das Geld jetzt erst recht. Seit das Jobcenter ihm und seiner Frau nicht länger den Regelsatz von 736 Euro zahle, komme er mit Hartz IV wirklich nicht mehr hin.

www.spiegel.de/lebenundlernen/job/arbeitslos-in-dortmund-jobcenter-zahlt-bettler-weniger-hartz-iv-geld-a-1179606.html#ref=rss

Schals aus Schurwolle gegen das winterliche Grau

14. November 2017

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alle Schals Handarbeit, ungewöhnliche Farbkombinationen, reine Schurwolle// 85 Euro

Photos: Andreas Gärtner

MONITOR: Wie Digitalisierung Armut schafft

10. November 2017

Schöne neue Arbeitswelt: Wie Digitalisierung Armut schafft

Roboter, Computer, Algorithmen – wir sind mittendrin in der digitalen Revolution. Studien sagen voraus, dass in den nächsten zehn Jahren die Hälfte aller Berufe automatisiert wird – viele Menschen ohne Arbeit dastehen könnten und prekäre Arbeitsverhältnisse zunehmen. Eine Entwicklung mit sozialem Sprengstoff, warnen Experten. Doch wenn es um Digitalisierung geht, sprechen die künftigen Regierungsparteien über Breitband und Glasfaser statt über Arbeitsplätze und mehr Chancengleichheit.

www1.wdr.de/daserste/monitor/videos/video-schoene-neue-arbeitswelt-wie-digitalisierung-armut-schafft-100.html

gala-power

26. October 2017

noch toller als toll werden
die zeitschriften-
& fernsehmenschen &
wachsen regelmässig
über sich hinaus

&
sind auf den parties
alle sau nett
zueinander

weil sie dafür
schliesslich
auch
bezahlt werden.

Hey ihr verwöhnten Großstadtkinder, hört endlich auf, so zu tun, als ob ihr „arm und asozial“ wärt

25. October 2017

In einigen urbanen Vierteln ist es ziemlich en vogue, so zu tun, als sei man alles – aber auf keinen Fall ein „rich kid“. Dabei steckt hinter diesem Gehabe oft das komplette Gegenteil.

Zugegeben, auf den ersten Blick ist es heute kaum noch zu erkennen, wer als Kind sozial schlechter gestellter Eltern zur Welt kam, und wer reich geboren wurde. Dank der Billigtextilproduktion in Ländern, in die niemand freiwillig in den Urlaub fährt, muss sich niemand mehr in peinliche Fishbone-Klamotten zwängen, sondern kann – zack, zack – mit hipper Hose und Samtshirt zum x-beliebigen Studi-Hipster mutieren.

Eine Errungenschaft, die eigentlich zu begrüßen ist: Der sogenannte class-struggle kann dadurch zumindest für einen Abend in der Bar verschleiert werden, sofern das Gegenüber nicht plötzlich über den künstlerischen Marktwert seines Vaters spricht. Auf der anderen Seite hat sich durch die optische Täuschung für überprivilegierte Akademiker*innen-Kinder umgekehrt auch die Möglichkeit ergeben, ein bisschen „arm und asozial“ zu spielen. Auf Zeit natürlich, und ohne tatsächlich Diskriminierungserfahrungen im Repertoire zu haben. Lustig, nicht?

Politikstudent Benedikt-Lorenz, der gerne freiwillig bei Humana shoppt und zum 18. Geburtstag eine Eigentumswohnung von seinem Opa bekam, inszeniert sich gerne als arm und asozial, obwohl er von der Unterschicht ungefähr so weit entfernt lebt wie vom Mond. Um sich in seinem Künstler*innenmilieu so bedürftig wie möglich zu geben, bedient er sich am Narrativ der mittellosen Boheme – auch wenn es gar nicht nötig wäre: Matratze auf dem Boden, Biedermeier-Schrank vom Vormieter, ein ranziges Sofa von eBay-Kleinanzeigen, im Kühlschrank nichts außer der gaumenbetörenden Kombination aus Tomaten und Paulaner. What a man!

Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, aber: Arm und abgeranzt sieht anders aus als der aufgewärmte Nostalgie-Trend vom Vorjahr. Trotz vermeintlicher Armut kann Benedikt-Lorenz das ganze Wochenende feiern und sich Eintritt, Kippen und MDMA leisten. Warum also verspüren diverse Benedikt-Ableger das Bedürfnis, das Klischee der armen Studierenden spielen zu müssen, obwohl sie in Wahrheit gar nicht am Hungertuch nagen?

Nicht arm und nicht sexy

Dass Studierende großteils arm sind, stimmt einfach nicht. Die meisten inszenieren sich lediglich so und kokettieren mit der Ästhetik der Arbeiter*innenklasse, solange sie selbst nicht von dieser betroffen sind. Denn an deutschen Unis sind Arbeiter*innerkinder immer noch unterpräsentiert. Während 71 Prozent der Akademiker*innenkinder es bis an die Uni schaffen, sind es bei Arbeiter*innenkindern nur 24 Prozent. Trotzdem hat es sich für ambitionierte UdK-Berlin und Angewandte-Wien-Studis irgendwie als Hobby ergeben, so zu tun, als sei man broke und asozial.

Die minimalistisch möblierte Crackhöhle ist dem eigenen Image jedenfalls zuträglicher als eine Ikea-Spießer-Wohnung. Kommt gut an im Instagram-Feed, wenn man sich so wack wie möglich (DIY-Tattoos, fertiger Hangover-Look, Fake-D&G-Pullover) gibt, obwohl einem Mama und Papa seit 2010 die 400-Euro-Miete zahlen. Selbst wenn Ebenerwähnte mal pleite sind, genügt in der Regel ein Anruf in die Heimat, um die Kasse wieder aufzufüllen. Die Kosten für den Lebensmitteleinkauf hat man beim Xbox-One-Kauf leider nicht berücksichtigt. Gut klingt der Spruch vor Fremden natürlich trotzdem.

Was auch gerne von Akademiker*innenkindern wie Benedikt-Lorenz vergessen wird: Selbst wenn sie heute etwas weniger Geld haben, verfügen sie immer noch über mehr kulturelles Kapital als verhältnismäßig reiche Angestelltenkinder, deren Eltern über keinen akademischen Abschluss verfügen.

Passt mal besser auf, wo ihr eure Familie sozial verortet, bevor ihr euch aus Unwissen und falschem Stolz zur Unterschicht zählt, obwohl Mama vier Sprachen spricht und ein Jurastudium in einem anderen Land angefangen hat. Bildung wird nach wie vor sozial vererbt.

Laut dem Soziologen Pierre Bourdieu unterscheidet man nämlich nicht nur nach ökonomischem, sondern auch nach sozialem und kulturellem Kapital. Das kulturelle Kapital ist etwas, womit Kinder aus akademischen Haushalten selbstverständlich aufwachsen. Es ist der Gitarrenunterricht, zu dem Lisa-Marie verdonnert wurde, obwohl sie ja eigentlich überhaupt keine Lust darauf hatte, oder der Englischkurs für Vorschulkinder, den sich die Eltern von Melanie vielleicht gar nicht leisten konnten.

Arm bedeutet nicht gleich arm

Akademiker*innenkinder können aus ökonomischer Perspektive natürlich auch finanziell benachteiligt sein – schließlich bedeutet ein Universitätsabschluss in deutscher Philologie noch lange nicht, dass man damit irgendwann eine Familie wird versorgen können. Ihr kulturelles und soziales Kapital betrifft der ökonomische Nachteil in den meisten Fällen nicht. Deshalb ist es besonders unsensibel, sich auch nur spaßeshalber mit dem Adjektiv asozial zu schmücken und eines mit dem anderen zu verwechseln. Es suggeriert fälschlicherweise, dass man sich – trotz all der vermeintlichen Widrigkeiten – zu seinem Milieu bekennt.

Nur, wenn es sich bei diesem Milieu in Wahrheit um gar keines handelt, das Zugang zu Bildung und Kunst verweigert, wo ist dann der Sinn der Sache? Der Slogan „arm und asozial“ verkommt dort zur Satire, wo man morgens Chopin hört, bevor man sich an die Hausaufgaben setzt und über die schlechten Ravioli vom Vortag jammert.

Es ist übrigens ein Privileg, in einer Berliner Altbauwohnung mit Flügeltüren zu wohnen und irgendwas mit Medien zu studieren.“
Meine Güte, wisst ihr überhaupt, was Armut bedeutet?

Wisst ihr, was es bedeutet, wenn eure Eltern nicht als Galerist*innen, Ärzt*innen, Musiker*innen, Hochschulprofessor*innen arbeiten – sondern als Verkäufer*innen bei Kik? Euch beim Studium nicht geistig unterstützen, weil sie den Sinn darin verkennen? Habt ihr eine Ahnung wie es ist, euch für den Habitus eurer Eltern zu schämen, weil sie die gesellschaftlichen Konventionen der deutschen Mittelschicht nicht nur nicht kennen, sondern auch nicht an euch weitergeben konnten?

Wie man sich fühlt, wenn man zum ersten Mal, als erste Person der Familie an einer Universität studiert, und nicht weiß, wie man den Blicken nach unwissenden, scheinbar dummen Fragen entkommen soll?

Glaubt ihr immer noch, asozial zu sein? Denkt ihr, dass es sich hierbei nicht um ein höchst problematisches Wort handelt, das die Gesellschaft noch mehr anhand von Indikatoren wie Einkommen und Bildung spaltet, als es ohnehin schon der Fall ist – selbst ohne euer Zutun?

Der Begriff asozial selbst taucht 1929 zum ersten Mal im Duden auf und wird für die unterste Schicht der Fürsorgeempfänger verwendet. Ab 1933 benutzten die Nationalsozialist*innen die Bezeichnung dann für alle möglichen Personenkreise, die nicht in ihr Weltbild passten. Asozial waren von da an Bettler*innen, Landstreicher*innen und mittellose Alkoholkranke.

Also, lieber Benedikt-Lorenz: Nein, du bist nicht unterprivilegiert, nur weil du nicht weißt, wie viel Opernkarten kosten oder dir unwohl dabei ist, wenn Kellner*innen in teuren Restaurants deinen Stuhl zurechtrücken. Ich kann mir vorstellen, dass Konventionen wie diese 2017 selbst Royals wie Harry und William unangenehm sind.

Schluss mit den Klischees!

Wer denkt, er wäre asozial, wenn er Wodka trinkt – aber nur ab und zu natürlich und um damit zu kokettieren – verdeckt die wahren Probleme der sogenannten unteren Schichten. Die haben nämlich gar keine Zeit, Wodka zu saufen (was für ein Klischee), weil sie sich um ihre verdammten Lebensunterhaltungskosten sorgen müssen. Sie haben keine Zeit, stundenlang über Soßenflecken auf ihren Hemden nachzudenken – denn es heißt, Geld zu verdienen. Geld zu verdienen, damit ihre Kinder einmal bessere Chancen haben als sie, aufzusteigen, in der undurchlässigen, deutschen Klassengesellschaft.

Diese Kinder, sie werden hoffentlich nicht ironisch von sich behaupten, arm und asozial zu sein, weil sie den Klassismus inhärenten Schmerz am eigenen Leib erfahren haben.

Arm und asozial – I beg your pardon. Niemand lässt sich von eurem schlechten Akademiker*innenkinder-Claim veralbern.

https://ze.tt/hey-ihr-verwoehnten-goeren-hoert-endlich-auf-so-zu-tun-als-ob-ihr-arm-und-asozial-waert/

platz(en)

24. October 2017

du kannst auch drei jahre einfach nur fernsehen es fällt so schwer
sich selber etwas zu erlauben in deinem schneckenhaus
oder deinem hamsterrad versuche ich Dich nicht zu stören
damit hier mal jemand zur ruhe kommt zwischen winner und loser
scheint kaum noch platz zu sein.

ausgelacht

18. October 2017

& meine sehnsucht tut deinem körper weh & im endeffekt
kommt es auf die richtige abwehrhaltung an, vielleicht
sollten wir endlich gemeinsam in der ersten reihe sitzen, obwohl
man doch mit dem zweiten besser sieht, du musst dich entscheiden, es
sind soviele felder frei, was du da gerade erzählst ist ja schrecklich
& ich glaube, du brauchst dafür einen spezialisten, erinnern
fällt mir schwer, nur soviel: für uns hofnarren sollte immer ein platz an
der sonne übrig sein.

Kein Mindestlohn in der Kreativbranche/// Wovon Künstler leben (müssen)

10. October 2017

Es ist nicht nur ein Klischee: Schreiben ist für die meisten Autoren eine brotlose Kunst und auch Musiker sind oft auf Spenden angewiesen.

Was wäre die Welt ohne Bücher, Filme, Gemälde oder ohne Musik – kurz, ohne Kunst? Mit Sicherheit ein ziemlich langweiliger Ort. Trotzdem verdienen Künstler meist nicht einmal den Mindestlohn. Ist in unserer Gesellschaft Kunst nichts wert?

Arme Künstler gab es zu allen Zeiten, nicht nur als Gegenstand in der Kunst, sondern auch im wahren Leben: Mozart und Vivaldi starben arm, die Schriftsteller Karl Philipp Moritz und Franz Kafka, ebenso wie Van Gogh, Rembrandt und Gaugin.

In ihren Biografien ist nachzulesen, dass das Leben als armer Künstler sich nicht nur in ekstatischen Höhen an der Seite von Gott abspielt, sondern einem unten auf der Erde auch sehr zusetzen kann.

Das ist heute nicht anders, als damals.

“Ein Stundenlohn von 1,54 Euro”

Astrid Vehstedt ist Vorstandsvorsitzende vom Landesverband der Schriftsteller in Berlin. Sie ist selbst Autorin, kennt die Situation aus erster Hand:

“Nach den Zahlen, die ich zur Verfügung habe, können überhaupt nur 5 Prozent der Autoren von ihren Büchern leben. Ich hab’ auch noch eine andere Zahl, wenn man 3000 Bücher in zwei Jahren verkauft, dann hat man einen Stundenlohn von 1,54 Euro.”

Schriftsteller arbeiten in Fabriken, als Taxifahrer, Kellner oder im Baumarkt an der Kasse. Wolfgang Herrndorf war bei der Post, Ian Rankin Steuereintreiber, Sekretär und Schweinehirte. Manche bieten Schreibwerkstätten und Kurse an, andere bringen es zum Stadtschreiber für 900 Euro im Monat, plus Kost und Logis. Aber nicht jeden zieht es in eine Stadt wie Erfurt, Gotha oder Eisenbach, um sich schreibend den dortigen Belangen zu widmen. Der Schriftsteller wünscht sich vor allem Geld, um sein eigenes Werk voranzubringen.

Bernd Cailloux hat gerade ein neues Buch veröffentlicht. “Surabaya Gold”, ein Sammelband von Haschisch-Geschichten. Gewisse Erfahrungen hat er auch selbst mit dem Thema, aber das ist lange her.

Bernd Cailloux ist Jahrgang 1945, schreibt seit Anfang der 70er Jahre. Damals ist er Mitte 20 und gerade aus einer Firma ausgestiegen, die er selbst mit gegründet hat. Die war erfolgreich mit dem Nachbau und Verkauf von Stroboskopen geworden, doch der Erfolg war gar nicht beabsichtigt gewesen. Ursprünglich wollten die drei Betreiber, ganz dem Geist der 68er und der Kunst verpflichtet, nur Lichttechnik für Diskotheken und Konzerte liefern, das Grünspan in Hamburg oder Frank Zappa.

Doch es folgten zunehmend Anfragen aus dem Messebetrieb oder der Werbung, die Firma expandierte. Der Anfang vom Ende der “Leisure Society”, moralisch geht es bergab. Die drei Betreiber zerstreiten sich, auch über Geld, Cailloux verlässt die Firma. Die ihm jedoch immerhin so viel einbringt, dass er davon etwa zehn Jahre lang leben kann. Er beginnt zu schreiben, erst einige Erzählbände, schließlich auch zwei Romane. An dem dritten arbeitet er gerade.

“Also, Geld, Geld, Geld, ja.”

Er mag das Thema eigentlich nicht. Seit dem Fiasko mit seiner Hippiefirma hat er Geld negativ besetzt, erzählt er.

“Geld trennt Liebende irgendwann. Und ich wollte frei sein davon.”

Bernd Cailloux‘ persönlicher Bestseller ist 2005 erschienen, mittlerweile in der 7. Auflage. Ein Buch mit dem spröden Titel “Das Geschäftsjahr 68, 69″. Darin verarbeitet er seine Erfahrungen aus der Firmen-Zeit. Ein gut besprochenes Buch, im selben Jahr nominiert für den Deutschen Buchpreis.

“Es gibt natürlich jedes Jahr ein paar Leute, die durchbrechen, und die 20-, 50-, 80-Tausend Bücher verkaufen, das gibt es natürlich. Aber die normalen Romane, auch namhafter Leute, kämpfen mit der 5000-Auflagen-Grenze.”

“Wenn man schreibt, kann man nicht saufen”

5000 gilt als Erfolg, ab 15.000 spricht man in der Branche von einem Bestseller. Die Marke hat das Buch von Bernd Cailloux jedenfalls geknackt, über genaue Zahlen spricht er nicht gern. Wenn ein Buch zwischen 10 und 20 Euro kostet und der Autor bekommt 10 Prozent davon, dann liegt der Verdienst für das “Geschäftsjahr” vermutlich irgendwo bei 20.000 Euro. Für fünf Jahre Arbeit. In der Zeit hat er zwei Stipendien erhalten, die anderthalb Jahre gehalten haben. Wovon hat er sonst noch gelebt damals?

“Keine Ahnung. Wenn man schreibt, kann man nicht saufen, dann gibt man kein Geld aus. Also braucht man fast kein Geld. Die Askese ist eben eine Grundbedingung. Wenn man in die Kunst reingeht, muss man mit der Askese rechnen, nicht mit Geld.”

Lange Zeit war auch das billige Leben in Berlin eine gute Künstlerförderung, 600 Mark reichten zum Leben, eine Hundert-Quadratmeter-Wohnung kostete 180 Mark. Doch das ist lange vorbei.

“Es gibt natürlich auch Leute, die Geld von Zuhause haben, keine Ahnung. Oder die einen Job machen nebenbei, oder ich hab‘ sehr lange sehr viel Radioarbeit gemacht, was ja dann alles auch störend ist. Wenn man sich im Schreiben weiterentwickelt hat, dann kann man sich mit den Massenmedien nicht mehr befassen, dann läuft ein anderer Film.”

Bernd Cailloux ist heute über 70, im Rentenalter. Hat er vorgesorgt?

“Nö. Ich bin in der Künstlerkasse und VG Wort von Anfang an immer drin, ich krieg‘ zwei kleine Renten und den Rest erarbeite ich, das hab‘ ich mir unter dem Beruf auch vorgestellt. Also, ich werde bis zum letzten Tag arbeiten.”

Von einer Verbesserung der finanziellen Situation für die Schriftsteller scheint man weit entfernt zu sein. Die Konkurrenz hat stark zugenommen, immer mehr Bücher werden von den Verlagen auf den Markt geworfen. Dazu kommen dank der Digitalisierung eine Vielzahl von Veröffentlichungen, die Autoren ganz ohne einen Verlag herausbringen, als “Selfpublisher”, einfach über das Internet.

“Im vergangenen Jahr gab es knapp 85.500 neue Titel. Wer soll das alles lesen? Ja, könnte man ketzerisch fragen. Also es ist ein unglaubliches Angebot natürlich da.”

Die Frage scheint eher zu sein, wie man verhindern kann, dass Autoren noch weniger Geld verdienen. Denn die wenigen Einnahmen über den Buchverkauf schrumpfen noch angesichts der Vertriebswege über das Internet, wenn Billiganbieter wie Amazon und Co sogar gerade erst veröffentlichte Bücher zu Dumpingpreisen anbieten, meint Astrid Vehstedt. Sie appelliert daher vor allem an die Verantwortung der Konsumenten. Auch im Bereich der Lesungen.

“Ich weiß von einer Initiative hier in Berlin Moabit, wo die Autoren überhaupt nicht bezahlt werden, sowas geht gar nicht! Es wird ja ‘ne Leistung erbracht. Also sollte man vielleicht auch wieder darauf hinweisen, dass auch Eintritt verlangt werden sollte, für Lesungen.”

Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit, wusste Karl Valentin. Auch Berthold Brecht beklagt in seinem “Lied der preiswerten Lyriker”, wie anstrengend es sei, Lyrik zu machen. Es wird eine Leistung erbracht. Aber wenn kaum jemand die Leistung will? Das Gedicht nicht liest, den Free Jazz nicht hört. Ist das dann nicht das persönliche Problem des Künstlers?

Warum sollte die Gesellschaft für eine Kunst bezahlen, die nur ein Handvoll von Leuten interessiert? Welchen Wert haben Kunst und Kultur für eine Gesellschaft, ganz unabhängig davon, wie viele Menschen sie konsumieren?

“Aus dem Jazz entstehen unglaublich viele kreative Impulse”

Gebhard Ullmann, Vorsitzender der Union Deutscher Jazzmusiker, kennt eine Antwort:

“Die Gesellschaft fördert ja auch jede Art von wissenschaftlicher Grundlagenforschung. Wenn wir mit Jazz aufhören würden, einfach von heute auf morgen, dann ist das Forschungslabor der Musik geschlossen. Aus dem Jazz entstehen unglaublich viele kreative Impulse.”

Heute gilt es als hip, in der Kreativbranche zu arbeiten, doch die Bedeutung von Kunst und Kultur für eine Gesellschaft scheint vergessen, meint der Jazz-Trompeter Nikolaus Neuser. In der Wahrnehmung sind sie nicht mehr als ein nettes Accessoire.

“Und es ist ja im Grunde eigentlich viel mehr. Es ist ja eigentlich ein Rückgrat einer Gesellschaft. Denn nur mit Kunst können wir Kultur entwickeln. Und nur mit Kultur bekommen wir eine Identität. Und nur auf Grundlage einer Identität können wir Werte entwickeln. Und dafür brauchen wir auch insbesondere eine Kunst, die natürlich die Gegenwart ausleuchtet, und auch da gerne die Extrempunkte betritt, und die Extremblickwinkel mit einbezieht.”

Silke Eberhard und Nikolaus Neuser sind ein eingespieltes Team im Leben, wie in der Musik. Das Jazz-Musiker-Paar lebt zusammen, spielt zusammen in verschiedenen Bands. Silke Eberhard Saxophon und Klarinette, Nikolaus Neuser Trompete.

Beide haben Jazzmusik studiert, spielen in mehreren Bands und Projekten, reisen viel in der Welt herum und machen Musik, in Europa, den USA, Asien, der arabischen Welt. Das hört sich gut an und das ist es auch.

Dennoch keine leichte Aufgabe, mit Jazzmusik sein Geld zu verdienen. 70 Prozent der Jazzmusiker verdienenweniger als 12.500 Euro im Jahr. Und vermutlich nicht einmal die Hälfte davon mit ihrer Musik.

Die Grundlagen, sich trotzdem für ein Leben als Musikerin zu entscheiden, liegen bei Silke Eberhard in der Kindheit: Der Vater leitet im Schwabenland eine lokale Blaskappelle. Mit neun wünscht sie sich eine Gitarre, mit elf bekommt sie eine Klarinette, spielt im Orchester mit. Doch heimlich schielt sie aufs Saxophon.

“Also Klarinette war Blasmusik, Saxophon war Jazz.”

Silke Eberhard will Musikerin werden, aber die Eltern raten davon ab: Kunst sei doch ein brotloses Gewerbe. So macht sie zunächst eine Ausbildung zur technischen Zeichnerin. Aber schnell stellt sich Ernüchterung ein.

“Als ich dann anfing da zu arbeiten, dann hatte ich jeden Tag das gleiche Bild auf dem Bildschirm. Furchtbar. Und ich hab’ so gelitten. Und wo wir dann zum Verdienst kommen: Ich hab’ dann zufällig gesehen, dass eine andere Mitarbeiterin, die war so Mitte 40 und ich war 20, die hat das gleiche verdient wie ich. Und es war so wenig! Und die Männer alle das Doppelte. Und ich dachte, das kann ja wohl nicht wahr sein, als Frau hast du ja sowieso gar keine Möglichkeiten. Also, das geht mit Jazz-Spielen auch.”

Mit 22 beginnt sie ihr Studium an der Musikhochschule “Hanns Eisler” in Berlin, ein Jahr später, 1996, gründet sie ihr erstes Trio.

“Das war ja ‘ne super Zeit in Berlin. Da konnte man in irgendwelchen Kellern, Bars, - also, keine offiziellen Bars, irgendwelche Hinterhöfe -, konnte man alles machen. Und Leute kamen und haben teilweise getanzt, zum Free Jazz, das war super. Und ja, auch in den Jazzclubs damals gab’s so die Festgage: 100 Mark - pro Person!”

Keine schlechte Gage, verglichen mit heutigen Standards. Die Union Deutscher Jazzmusiker hat zwar mit vielen Veranstaltern eine Mindestgage von 250 Euro ausgehandelt. Die wird aber fast nie gezahlt.

“Da gibt’s eben viele Clubs, wo man auf Eintritt spielt, manche auch auf Donation, da geht der Hut rum. Da gibt’s dann auch gute Beispiele von einem Club, wo jemand vorne steht und dann sagt, was die Mindest-Donation sein sollte, und dann geht man eigentlich mit einer guten Gage raus. 200 Euro hab ich da bekommen, für einen Jazz-Gig. Das sind so aktuelle Preise, aber wenn man natürlich in einem ganz klitzekleinen Laden in Neukölln spielt, wo nur 20 Leute reinpassen und jeder gibt fünf, kann man es sich ausrechnen, was dann bei der Band bleibt.”

100 Euro – die sich eine Band teilen muss. Doch mehr können die Clubs oft nicht zahlen – finanziell sind sie in derselben Situation, wie die Musiker.

“Du zahlst, um eine CD rauszubringen”

Mit Auftritten seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, ist praktisch unmöglich. Man sollte meinen, dass der Verkauf von CDs einiges einbringt. Tut es aber nicht.

“Als ökonomischer Faktor spielt das CD-Verkaufen eigentlich keine nennenswerte Rolle. So. Aber als künstlerisches Statement und zur Akquise von Konzerten, ist es einfach nötig, das zu tun.”

Die letzte Veröffentlichung von Silke Eberhard und Nikolaus Neuser mit ihrem Trio “I am three” wurde international sehr gut aufgenommen, bekam im “DownBeat Magazine”, bei “New York City Jazz Records” oder “All about Jazz” herausragende Beurteilungen.

“Aber ich kann wirklich nicht sagen, wieviel da verkauft wurden, aber das wird, wenn man Glück hat, ‘ne vierstellige Zahl.”

“1000 ist schon ein Renner. Muss man sagen. Dann ist es auch so, wenn man eine CD macht heute, das sind ja oft ganz kleine Firmen, das sind zwei Leute, zum Beispiel, die das nebenher machen. Da muss man selber als Musiker eine bestimmte Stückzahl abnehmen, damit der das überhaupt machen kann. Das heißt, man muss dem einen Teil des Risikos abnehmen. Das heißt du zahlst, um eine CD rauszubringen, manchmal durchaus 3000, 4000 Euro als Musiker. Also, es wird schon gar nicht mehr darüber geredet, dass man irgendwelches Geld für eine CD kriegt, sondern man bezahlt.”

Eine gute Verdienstmöglichkeit bieten Festivals, 500 Euro sollen es im Schnitt sein, nach oben hin gibt es für Stars keine Grenzen. Doch erfolgreiche Musiker ergattern vielleicht fünf Festivalauftritte im Jahr, unbekannte können sich schon über einen Auftritt freuen. Viele Musiker unterrichten daher oder spielen wie Silke Eberhard häufig in Theaterproduktionen mit.

Silke Eberhard und Nikolaus Neuser kommen heute gut zurecht, brauchen aber auch nicht viel. Sie empfinden ihr Leben als privilegiert.

“Aber selbstverständlich stehen Arbeitsaufwand und Entlohnung in keiner Relation, wenn man das mit äquivalent ausgebildeten anderen Berufen vergleicht.”

Die Union Deutscher Jazzmusiker hat eine Studie in Auftrag gegeben, um die Situation der Musiker sichtbarer zu machen.

Veraltete Förderstrukturen

“Wenn man diese Zahlen hat, dann kann man natürlich durchaus in den politischen Raum gehen und sagen: So und so ist die Situation und wenn ihr nicht wollt, dass die Leute alle irgendwann, wenn sie 65 sind, beim Sozialamt vor der Tür stehen, müsst ihr jetzt was machen. Zum Beispiel.”

Die Union Deutscher Jazzmusiker wie auch die Koalition der Freien Szene beklagen veraltete Förderstrukturen, viel zu wenig komme an der Basis an. Und die Fördermittel müssten deutlich erhöht werden.

“Die deutschen Jazzpreise sind in der Regel bei 15.000 Euro gedeckelt. Der Genius-Award, MacArthur Genius Award, das ist das Pendent in New York, liegt jetzt bei 650.000 Dollar. Den kann man kriegen als Jazzmusiker. In Dänemark, in Kopenhagen, gibt es einen Jazzpreis, der liegt bei 250.000 Euro. Und in Deutschland bewirbt man sich für 5000 Euro. Mit derselben Band.”

Was man sich bei den Skandinaviern außerdem abgucken könnte, fällt unter das Stichwort: Exportförderung. “Skandinavischer Jazz” hat nicht zufällig internationales Renommee erlangt, sondern weil der Staat den Export einer Marke gefördert hat. Finanziell kommt das allen Seiten zu Gute.

Im Vertrag der Großen Koalition hieß es: Kultur ist keine Subvention, sondern eine Investition in die Zukunft.

Doch wo wird investiert? Die meisten Ausgaben im Kulturbereich verbrauchen sich in der Erhaltung bestehender Einrichtung wie Theatern und Konzerthäusern, in Museen, Bibliotheken und der Denkmalpflege. Doch die Zukunft wird an der Basis geschmiedet, von einzelnen Künstlern. Für sie bleibt kaum etwas übrig. Und erschwert wird ihre Situation noch durch die steigenden Kosten für Wohnraum, Proberäume, Ateliers.

Lorcan O’Byrne ist Mitte 50, geboren in Dublin. Seit 30 Jahren lebt er in Berlin, die Lebenshaltungskosten haben sich seit damals dramatisch verändert. Nebenjobs muss er aber nicht mehr machen, er lebt von etwa 1000 Euro im Monat. Das Atelier kostet 600 Euro.

Lorcan O’Byrne hat an der Hochschule der Künste studiert, Preise und Stipendien erhalten, hat Ausstellungen in Hamburg, Berlin, Antwerpen, Dublin.

1996 wird die Galeristin Helen Adkins auf ihn aufmerksam. Im Jahr darauf zeigt sie eine erste Einzelausstellung seiner Arbeiten in ihrer Galerie in Berlin-Mitte, vertritt ihn fünf Jahre lang. Doch 2002 muss die Galerie schließen, die Miete hat sich verdoppelt. Eine feste Vertretung hat er seit dem nicht gefunden.

“Ich meine, eine Galerie zu haben, ist richtig gut. You know, du hast einen Platz zum Zeigen. Und selbst das ist schon was wert. Und dann, man bezahlt die Galerie für Connections und so weiter. Ich würde gern jetzt eine Galerie haben in Berlin.”

Nur etwa 10 Prozent der Künstler haben eine feste Galeriebindung. Wer keine hat, muss sich selbst managen: vermarkten, netzwerken, Ausstellungen organisieren – um seine Bilder an den Mann oder die Frau zu bringen. Eine Aufgabe, die viel Zeit kostet. Wenn dann noch Nebenjobs dazukommen, wird die eigentliche Kunst-Produktion immer schwieriger, weiß Herbert Mondry vom Berufsverband Bildender Künstler in Berlin.

“Das sind drei Bereiche: das Kunstmachen, das Management und dann das Geld verdienen. So, dann können Sie sich ausrechnen, wie lange das gut geht. 10 Jahre? 15 Jahre? Dann ist ein Künstler in der Regel, oder eine Künstlerin, schon fast verbrannt.”

“Manchmal nur 35 Euro pro Woche”

Lorcan O’Byrne hat Glück, einige Sammler bleiben ihm erhalten, kommen regelmäßig zu ihm ins Atelier, kaufen seine Bilder. Und er kann ab und zu in Galerien ausstellen, im vorletzten Jahr erhielt er außerdem ein Stipendium. Er kann von seiner Kunst leben, doch die Lebensbedingungen sind bescheiden.

“Ich hab’ nichts. Ich brauche nichts. Ich meine, ich habe Material und Pinsel und ich hab’ auch eine gute Beziehung mit meiner Tochter und meiner Ex und mit ein paar Leuten hier, das ist viel mehr wichtig als Geld. Ich habe auch manchmal mit 35 Euro pro Woche, im Moment sind es 50, 70. Urlaub ist immer drin! Urlaub nach Irland ist immer drin, auch wenn ich Geld krieg von Irland, um in Irland Urlaub zu machen. Mein Jerry, mein Unterstützer, der bucht die Karten für mich manchmal. Und er bezahlt die. Und deswegen auch vielleicht bin ich nicht so miserabel. Weil ich hab das im Hintergrund. Und wenn die nicht da waren, ich meine Familie und Freunde und so, dann wäre es auch anders.”

Wie in allen anderen künstlerischen Berufen auch, kann nur eine kleine Minderheit gut von der künstlerischen Arbeit leben. Schätzungsweise 10.000 Künstler gibt es allein in Berlin, Anfang der 90er Jahren waren es noch 3500. Der Kampf darum, überhaupt wahr genommen zu werden, ist deutlich härter geworden. Die schiere Masse an Künstlern senkt die Verdienstmöglichkeiten, das Durchschnittseinkommen in Berlin liegt bei 850 Euro.

Einige erhalten, wie Lorcan O’Byrne, zusätzliche Unterstützung: von der Familie, vom Partner oder vom Jobcenter. Doch die meisten müssen fast ausschließlich von Nebenjobs leben.

Um die Situation der Kunstschaffenden zu verbessern, fordert der Berufsverband seit Jahren, dass Künstler, deren Arbeiten in kommunalen Galerien ausgestellt werden, bezahlt werden. Wie jeder andere, der dort arbeitet, auch.

“Das ist natürlich eine sehr komische Sache, weil die Toilettenfrau, die kriegt eben sogar Geld, weil sie eben sauber macht, und alles Mögliche macht. Das heißt alle verdienen mit an dem Ausstellungsbetrieb, aber ausgerechnet der Künstler, der eigentlich den eigentlichen Inhalt liefert, kriegt nichts! Also eine total bescheuerte Geschichte, die keiner richtig begründen kann.”

Seit 2016 gibt es in der Hauptstadt das “Berliner Modell”, die Künstler erhalten 1000 Euro für eine Einzelausstellung und 150 bis 350 Euro für die Teilnahme an einer Gruppenausstellung.

Auch die Zahl der Arbeitsstipendien wurde erhöht, von ehemals 15 auf 54 Stipendien. Doch im Bereich der Atelierförderung etwa ist die Entwicklung eher rückläufig. Die Preise für Wohn- und Arbeitsräume steigen stetig an.

Die Ausgaben für den Kultursektor machen etwa 1,7 Prozent der öffentlichen Haushalte aus. In den letzten 10 Jahren ist der Kulturetat von jährlich 9 auf etwa 10 Milliarden Euro gestiegen. Doch diejenigen, die zeitgenössische Kultur produzieren, in denen die Themen der Gegenwart verhandelt werden, haben kaum etwas davon. Mit Hilfe von Interessenverbänden, mit vereinten Kräften, ändert sich das vielleicht in Zukunft. Aber bis dahin sollten Künstler besser von einem Leben in bescheidenen Verhältnissen ausgehen.

TRINKFEST/ SALON FLUCHTENTIER zur BUCHMESSE 2017

10. October 2017

Trinkfest no 4- Salon Fluchtentier
Freitag, 13. Oktober, 21-1h

Fahrgasse 25, 60311 Frankfurt

Das “trinkfest” wird vier! Und wir werden nicht früher. Erneut im Schatten des Doms, in der Schänke „am Löwenbrunnen“ begießen wir Texte und uns. Auf dass wir weiterwachsen. Auf dass wir Nächte verleben, wie wir die Tage verschlafen. Ein trinkfester Charakter muss gebildet werden und das am besten in aller Freundschaft: Jede und jeder darf lesen. Es gibt keine Lesereihenfolge, keinen Ablaufplan und wirklich niemand hat einen Schimmer von etwas, vor allem nicht nach der dritten Runde. Kommt vorbei – auch lauschen ist erlaubt!
Der Salon lädt ein: Die Kneipe heißt “Am Löwenbrunnen” (U-Bahn/Tram-Station “Dom/Römer”), ab 21 Uhr (diesmal spielt keine Eintracht; juhu oder ohje?) wird poetisiert, potenziert, polarisiert
… Wir lesen und trinken bis der Arzt kommt, ob wegen Promille, ob wegen Poesie, uns doch schnurz!