Tafeln in Deutschland – Offenbarungseid des Sozialstaats?

1. March 2018

Podcast des Deutschlandfunks

Seit der Entscheidung der Essener Tafel, in Zukunft nur noch Deutsche neu in die Liste der Hilfsbedürftigen aufzunehmen, wird heftig diskutiert: Ist diese Entscheidung richtig?

Sie hat für eine riesige Empörung gesorgt: Die Entscheidung der Essener Tafel, bis auf weiteres nur noch Bedürftige mit deutschem Pass neu in die Kartei aufzunehmen – weil der Anteil der Ausländer auf 75 % gestiegen sei, und sich die deutsche Oma nicht mehr zur Tafel traue. Gestern haben die Verantwortlichen entschieden: Es soll einen Runden Tisch geben – bis dahin aber soll die Regel weitergelten.
Weshalb aber haben die Tafeln in Deutschland überhaupt eine solche Bedeutung? Zieht sich da der Sozialstaat nicht aus einer ureigenen Aufgabe zurück?
Für Dorothea Siems von der Tageszeitung “Die Welt” ist das Problem komplexer.

www.deutschlandfunk.de/der-tag-tafeln-in-deutschland-offenbarungseid-des.3415.de.html?dram:article_id=411862

DER BÄCKER GIBT MIR DAS BROT AUCH SO

13. February 2018

»Bei Julia Mantel geht es ums echte Leben – jung, großstädtisch, aber nie großspurig, dafür mit klarem Bewusstsein von Hartz IV und Krankenkassenzuschüssen«

»Rund sechzig Gedichte mit dem typischen, ganz eigenen ›Mantel-Ton‹: Der erste Gedichtzyklus in diesem Band widmet sich der Spannung von Ökonomie und Körper. Ich kenne kein anderes Buch, das so gnadenlos die Folgen der wirtschaftlich prekären Situation starker Frauen auf ihr (Beziehungs-)Leben enthüllt. Im zweiten Zyklus rollt die Münze auf der Kante durch die Städte der Republik, es geht bergauf, es geht bergab. Im dritten Zyklus wird durchgespielt, wenn Zahl fällt: Gewinnt das männliche Prinzip, ist die Liebe tot. Der vierte Zyklus gibt Hoffnung: Kopf, es gibt also auch ein gelingendes Leben in entfremdeten Strukturen für eine Frau, die weiß, was ihr wichtig ist.« Martin Wimmer

erscheint im Mai 2018

editionfaust.de/produkt/der-baecker-gibt-mir-das-brot-auch-so

editionfaust.de/autor/mantel/

Wohnungslosigkeit in Berlin erreicht die Mittelschicht

13. January 2018

Bis vor kurzem war Obdachlosigkeit in Berlin ein Randphänomen. Heute sind ganze Familien betroffen. Und es wird immer schlimmer.

Berlin. Morgens um sieben ist die Welt nicht in Ordnung. An der Tür der Notunterkunft für wohnungslose Familien in Berlin klingelt ein Paar mit drei Kindern, alle sind durchgefroren. Jemand hat ihnen diese Adresse in Kreuzberg in die Hand gedrückt. Sie haben großes Glück, ein Zimmer ist frei. Die Notunterkunft ist ein Rettungsanker für Familien, die letzte Stufe vor der Obdachlosigkeit. Sie kommen nach Zwangsräumungen oder nach der gescheiterten Suche nach einem besseren Leben in der deutschen Hauptstadt. Neu ist, dass die Notunterkunft fast jeden Tag belegt ist. Seit September gibt es 30 Plätze, und auch sie reichen schon nicht mehr aus.

Sozialarbeiterin Viola Schröder hat in kurzer Zeit erlebt, wie ein Berliner Randphänomen zu einem Problem wurde: Familien ohne Wohnung. Vor kurzem stand ein Vater mit Beamtenjob in ihrem Büro. Scheidung, Schulden, keine Bleibe. Sie konnte ihn und seine Kinder nicht aufnehmen. “Wir müssen 20 bis 30 Familien pro Monat ablehnen”, sagt sie. “Wir sind voll.” Und dann sagt sie noch etwas. “Bei uns geht es nicht allein um Roma-Familien. Das Problem ist in der deutschen Mittelschicht angekommen.”

Zahl der Menschen ohne Bleibe könnte auf 50.000 steigen

Rund 30.000 Menschen ohne Bleibe haben die Berliner Behörden im Jahr 2016 untergebracht, in Notunterkünften, Heimen oder Hostels, fast doppelt so viele wie im Vorjahr. Wer bei Freunden auf dem Sofa schläft oder auf der Straße lebt, wird dabei noch nicht einmal erfasst.

Für 2017 schätzt Berlins Sozial-Staatssekretär Alexander Fischer (Linke) die Zahl bereits auf 50.000 oder mehr. Darunter sind auch anerkannte Flüchtlinge und Gestrandete aus EU-Ländern. Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) redet das Problem nicht schön. “Wir stehen mit dem Rücken zur Wand”, sagt sie. Was Wohnungen betreffe, gebe es mehr Verteilungskämpfe als früher. “Es trifft vor allem einkommensschwache Gruppen, aber auch schon Teile der Mittelschicht.” Und zu lange sei nichts passiert.

Berlin ist da angekommen, wo München, Frankfurt, Köln oder Hamburg schon sind. Nach einer Schätzung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe könnte die Zahl der Menschen ohne feste Bleibe und Mietvertrag in Deutschland in diesem Jahr auf 1,2 Millionen steigen. 2016 waren es geschätzte 860.000, darunter auch 32.000 Kinder und Jugendliche, deren Eltern keine Wohnung mehr hatten. Nur ein kleiner Teil lebt obdachlos auf der Straße. Die meisten kommen unter, auch in kommunalen Heimen. Es trifft mehr Frauen als früher, mehr Jüngere oder Ältere, mehr Behinderte und nicht nur Singles.

Eine säumige Miete reicht, um auf der Straße zu sitzen

In Berlin bündelt sich die Misere gerade wie in einem Brennglas. In der zentralen Beratungsstelle der Caritas für Menschen in Wohnungsnot gibt es nichts, was es nicht gibt. “Alle Altersklassen, alle Bildungsschichten”, sagt Sozialarbeiterin Elfriede Brüning. “Und den meisten Menschen sieht man nicht an, dass sie bei Freunden auf dem Sofa schlafen, bei der Oma oder in einer Notunterkunft.”

Berlin ist eine Mieterstadt. Die Eigentumsquote liegt bei rund 15 Prozent. In anderen deutschen Großstädten sind es ein Viertel oder mehr. Wird auf dem Wohnungsmarkt nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage spekuliert, trifft das die Hauptstadt bis ins Mark. Beim Berliner Mieterverein konstatiert Geschäftsführer Reiner Wild, dass Vermieter bei Mietrückständen heute gleich doppelt kündigen - fristlos und fristgemäß nach drei Monaten. Mit diesem Kniff könne ein Mieter seine Wohnung nicht behalten, selbst wenn er Mietschulden nachzahle, sagt er. Was reicht, um rauszufliegen? “Eine säumige Miete”, sagt Wild. Die Tendenz, Menschen vor die Tür zu setzen, um die Wohnung teurer neu zu vermieten, nennt er in Berlin “sehr stark”.

Für Barbara Eschen, Direktorin des Diakonischen Werks Berlin-Brandenburg und Sprecherin der Nationalen Armutskonferenz, ist Wohnen ein Menschenrecht. Doch im Moment erlebt sie, wie auch der Diakonie auf dem freien Wohnungsmarkt ihre angemieteten Wohnungen für Bedürftige gekündigt werden. Lange akzeptierten Vermieter eine schwierigere Klientel, wenn dafür die Miete regelmäßig überwiesen wurde. Inzwischen können sie bei Neuvermietung deutlich mehr Geld machen, die Bewerber überbieten sich. “In Berlin ist das ganze Hilfesystem verstopft. Bis hin zum Frauenhaus”, bilanziert Eschen.

Bei Wohnungsnotstand weite sich das Risiko auf breitere Bevölkerungsschichten aus. “Es ragt heute mehr in die Mittelschicht hinein als früher”, ergänzt Eschen. “Für mich ist Obdachlosigkeit bei Familien ein neueres Phänomen. Das hat ganz viel mit dem Verdrängungswettbewerb auf dem Wohnungsmarkt zu tun.” Für sie ist das A und O, dass preiswerter Wohnraum geschaffen und erhalten werden muss.

Immer mehr Paare mit Kindern ohne Wohnung

Es passiert gerade etwas. Der Berliner Senat hat die Mittel für Wohnungslose 2018 von 4,2 auf 8,1 Millionen Euro aufgestockt. Davon sollen zum Beispiel mehr Notübernachtungsplätze für Frauen und Familien entstehen. Auch der Spielraum bei der Übernahme von Mieten ist seit Januar größer. Die Wohlfahrtsverbände bleiben kritisch. “Ich weiß nicht, ob das schon reicht, was jetzt gerade passiert”, sagt Barbara Eschen.

Anders als die Sozialverwaltung hat Elfriede Brüning in der Moabiter Wohnungslosenhilfe detaillierte Zahlen über Entwicklungen. 3200 Menschen suchten 2017 allein bei der Caritas Hilfe. In zehn Jahren hat sich die Zahl der Klienten damit verdoppelt, mit spürbaren Verschiebungen: 2007 hatten nur fünf Prozent der Besucher einen Job mit Einkommen, heute sind es 15 Prozent. Damals kamen zu drei Vierteln Deutsche und zu einem Viertel Migranten. Heute liegt das Verhältnis bei 55 zu 45 Prozent. Und sechs Prozent aller Hilfesuchenden waren 2017 Paare mit Kindern. Das ist der höchste Wert in zehn Jahren.

www.morgenpost.de/berlin/article213067681/Wohnungslosigkeit-in-Berlin-erreicht-die-Mittelschicht.html

Über die Schere zwischen Arm und Reich// Wo die Studie von Ökonom Piketty irrt// Von Rainer Zitelmann

6. January 2018

Im Dezember stellte eine internationale Forschergruppe um den französischen Ökonomen Thomas Piketty eine neue Studie über wachsende wirtschaftliche Ungleichheit in der Welt vor. Reichtumsforscher Rainer Zitelmann kritisiert daran, dass sie wichtige Aspekte zu schwach gewichte.

Dass die Ungleichheit in vielen Ländern der Welt wächst, stellt Piketty in seinem Bericht ganz nach vorne. Dass die weltweite Ungleichheit jedoch schrumpft, ist hingegen in der Mitte versteckt.

Laut der Studie ist der Anteil der ärmsten Hälfte der Bevölkerung am weltweiten Einkommen in den letzten drei Jahrzehnten leicht gestiegen: 1980 lag der weltweite Anteil der armen Hälfte bei acht Prozent, 2013 bei knapp zehn Prozent. Und der Anteil des reichsten einen Prozents geht seit rund zehn Jahren zurück.

Zu denken geben sollte uns, dass häufig gerade in den Ländern am lautesten über Ungleichheit geklagt wird, wo sie am geringsten ist. Der Anteil der obersten zehn Prozent der Bevölkerung am Gesamteinkommen ist Piketty zufolge mit 37 Prozent nirgendwo so gering wie in Europa. Zum Vergleich: In den USA und Kanada haben die reichsten zehn Prozent einen Anteil von 47 Prozent.

Die Studie enthält auch zu Deutschland interessante Zahlen: Vor hundert Jahren vereinigte das reichste Prozent der Deutschen noch 18 Prozent der Einkommen auf sich, heute sind es nur noch 13 Prozent. Relativ gesehen sind die Reichen also ärmer als vor hundert Jahren. Aber ist das überhaupt so wichtig?

Der Lebensstandard der Menschen wird angehoben

Es ist gar nicht entscheidend, ob die Vermögensungleichheit zunimmt oder nicht, sondern ob der Lebensstandard der Menschen insgesamt durch die Entwicklung des Kapitalismus angehoben wird. Piketty beklagt, die Schere zwischen Arm und Reich ginge seit 1990 immer weiter auseinander. Selbst wenn er damit Recht hätte: Ist es nicht wichtiger, dass gerade in diesen Jahrzehnten Hunderte Millionen Menschen weltweit aus der bitteren Armut entronnen sind?

Ist es für diese Hunderten Millionen Menschen entscheidend, dass sie nicht mehr hungern und der Armut entronnen sind – oder dass sich im gleichen Zeitraum das Vermögen von Multimillionären und Milliardären in einigen Ländern noch stärker vermehrt hat als ihr Lebensstandard?

Der Kapitalismus – das sozialste Wirtschaftssystem

Die Entwicklung in China zeigt, dass steigendes Wirtschaftswachstum auch bei gleichzeitig steigender Ungleichheit den meisten Menschen zugute kommt. Dort geht es heute hunderten Millionen Menschen besser, und zwar nicht obwohl es so viele Millionäre und Milliardäre in China gibt, sondern gerade weil der Wirtschaftsreformer Deng Xiaoping die Parole ausgegeben hatte: “Lasst einige erst reich werden.”

Die Frage, durch welches Wirtschaftssystem die Zahl der Armen reduziert wird, ist viel interessanter als die, ob eine Schere zwischen Arm und Reich aufgeht. Der Kapitalismus ist in der Geschichte das sozialste Wirtschaftssystem, weil er am meisten zur Beseitigung der Armut beigetragen hat.

Hungertote im Sozialismus

Was man in Pikettys Studie nicht lesen kann: Die meisten Hungertoten gehen im 20. Jahrhundert auf den Sozialismus zurück – seit 1920 mehr als 70 Millionen. Fast die Hälfte davon entfällt auf Maos sozialistisches Experiment des “Großen Sprungs nach vorne” Ende der 50er-Jahre. Ein weiteres Viertel entfällt auf Stalins sozialistische Zwangskollektivierung.

Das Ende des Kommunismus und der weltweite Siegeszug des Kapitalismus haben dazu geführt, dass in den 2000er-Jahren nur noch drei von 100.000 Menschen durch Hungersnöte starben.

Piketty ist kein unvoreingenommener Wissenschaftler. Er beriet den ehemaligen französischen Präsidenten François Hollande bei der Einführung der sogenannten Millionärssteuer, die mit 75 Prozent so hoch war, dass reiche Franzosen das Land verließen. Der heutige Präsident Macron spottete damals, mit der Steuer sei Frankreich “wie Kuba, nur ohne Sonne”.

Rainer Zitelmann ist zweifach promovierter Historiker und Soziologe. Nach einer Karriere im Verlagswesen (u.a. Cheflektor im Ullstein Verlag), gründete er ein Unternehmen für Immobilien-PR. Er hat mehr als 20 Bücher veröffentlicht, unter anderem die “Psychologie der Superreichen” (2017).

www.deutschlandfunkkultur.de/ueber-die-schere-zwischen-arm-und-reich-wo-die-studie-von.1005.de.html?dram:article_id=407528

Farbenfroh in Frankfurt

2. January 2018

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Schal aus Handstrick, 100% Schurwolle, modische Farben: Unvermittelbar

Mietexplosion in den Städten: Selbst Besserverdienende geraten unter Druck

13. December 2017

Bezahlbarer Wohnraum in den Innenstädten wird knapp. Ein Gegenmittel: mehr sozialer Wohnungsbau. Der Mittelschicht hilft das allerdings nicht. Auch Krankenschwestern und Feuerwehrleute fänden immer schwerer Wohnungen, warnt die Soziologin Christine Hannemann. Sogar Besserverdienende seien inzwischen betroffen.

Berlin, München oder das Rhein-Main-Gebiet – in einigen deutschen Städten und Regionen sind die Mietpreise in den vergangenen Jahren förmlich explodiert. Die Politik will gegensteuern: mit mehr sozialem Wohnungsbau. Doch wo bleibt dabei die Mittelschicht, die einerseits keinen Anspruch auf eine Sozialwohnung hat, die aber auf der anderen Seite auch nicht beliebig hohe Mietsteigerungen verkraften kann?

“Denken Sie an Krankenschwestern, denken Sie an Feuerwehrleute, also an alle, die eigentlich so ein Stadtleben auch erstmal möglich machen – die finden zunehmend keinen Wohnraum”, sagt die Soziologin Christine Hannemann, Leiterin des Bereichs Architektur- und Wohnsoziologie am Institut für Wohnen und Entwerfen der Universität Stuttgart. “Es ist auch ein Problem, das inzwischen selbst Besserverdienende erreicht hat, weil die Mietpreise von Wohnungen so stark gestiegen sind, dass sich eben wirklich nur noch sehr gut Verdienende innerstädtische Mietwohnungen oder überhaupt Eigentumswohnungen leisten können.”

“Wir wollen keine Verhältnisse wie in Brasilien”

Durch eine Verdrängung der Mittelschicht aus den Innenstädten würden sich die Städte in eine Richtung entwickeln, die nicht mehr unserer Vorstellung von Stadt entspricht, warnt Hannemann. “Weil, wir gehen davon aus, dass wir keine sozial segregierten Gebiete haben. Wir wollen keine Verhältnisse wie in Brasilien. Wir wollen nicht, dass wie in London sich nur noch die ganz Armen und die Reichen das Stadt-Wohnen leisten können.”

Dass inzwischen auch in Deutschland eine Verdrängung der Mittelschicht aus den Innenstädten drohe, hat laut der Wohnsoziologin auch mit der Situation der Kommunalverwaltungen zu tun. Zum einen gebe es in den Kommunen immer weniger Fachpersonal: “Die Verwaltung ist enorm ausgedünnt worden.”

Zum anderen liegt es Hannemann zufolge an der Verwaltungsstruktur: So seien sowohl Stadtplanung als auch Wohnungswesen für Wohnungen zuständig, zumindest in einem Teil der Kommunen seien diese Bereiche aber getrennt: “Also, in Stuttgart zum Beispiel ist die Stadtplanung eine eigene Abteilung, und das Wohnungswesen untersteht dem Finanzsenator”, sagt Hannemann. “Und dann sieht man auch schon, dass die Interessen unter Umständen sehr verschieden liegen. Also, es ist eigentlich auch ein strukturelles und ich finde, auch ein Personalproblem.”

www.deutschlandfunkkultur.de/mietexplosion-in-den-staedten-selbst-besserverdienende.1008.de.html?dram:article_id=402980

Poesieabend Ende Januar in der Brotfabrik/ Berlin

5. December 2017

Freitag 26.01.2018 • 19.30 Uhr • Neuer Salon

»Beständig unbeständig« – Musikalische Lesung mit Julia Mantel, Lutz Steinbrück und Bastian Winkler

Julia Mantel, Lutz Steinbrück und Bastian Winkler treffen sich an diesem Abend in der Brotfabrik und präsentieren Poesie mit Tiefgang, Witz und Absurdität. Ihre Texte fußen in Alltags- und Beziehungsgeflechten, suchen schräge Perspektiven, ohne diese zu erzwingen. Alle drei überführen solche Suchbewegungen in ihren Gedichten gekonnt auf je ganz eigene Weisen in zum Widerspruch herausfordernde, klare wie anschlussfähige Bilder und Aussagen. Unruhe, Getriebenheit und schnelllebige Wechsel prägen das Programm dieser Texte – als Zeichen am Puls ihrer Zeit. Lutz Steinbrück begleitet die Gedichte mit aktuellen Songs.

Julia Mantel (*1974), Studium der angewandten Kulturwissenschaften in Lüneburg. Seit 2000 Publikationen in zahlreichen Anthologien. Lebt als Autorin, Sprecherin und Strickkünstlerin in Frankfurt am Main. Sie veröffentlichte die Lyrikbände »new poems« (Verlag im Proberaum, 2008) und »dreh mich nicht um« (Fixpoetry, 2011), im Frühjahr 2018 erscheint »Der Bäcker gibt mir das Brot auch so« in der Edition Faust.

Lutz Steinbrück (*1972) sieht, umtönt und durchdrungen von lautstarken Behauptungen, die es täglich zu entdecken und abzustreifen gilt, seine Gedichte als individualistischen Ausdruck von Selbstvergewisserung und erfindet Fluchtmöglichkeiten aus einer weltlichen Anstalt. Geboren in Bremen, lebt er mittlerweile in Berlin als Autor, Journalist und Musiker der Band »neustadt«. Momentan arbeitet er am ersten Soloalbum, dessen Songs unironische Intimitäten nicht scheuen. Er veröffentlichte die Gedichtbände »Fluchtpunkt: Perspektiven« (Lunardi Verlag, 2008) und »Blickdicht« (Verlagshaus Berlin, 2011).

Bastian Winkler (*1977) dichtet sich frei von schlechter Atmosphäre, sucht das Weite durch Ahnenflucht, steigt nicht ins Auto von Vertrauten und fährt 0,5-herzig den Berg der Verwerfung hinauf. Geboren bei Hannover, lebt und arbeitet er aktuell in Berlin, Studium am Hildesheimer Institut für literarisches Schreiben. Veröffentlichungen in Zeitschriften (u. a. Bella Triste und Randnummer) sowie Anthologien (u. a. Jahrbuch der Lyrik 2011). 2003 erschien der Gedichtband »quengelszungen« bei Clamot. Zudem ist er Sänger, Texter und Gitarrist der Band »BUM!«

Eintritt: 6,- / ermäßigt 4,- Euro

Jobcenter zahlt Bettler weniger Hartz IV

22. November 2017

In der Fußgängerzone ertappt

Wenn das Hartz-IV-Geld nicht reichte, ging Michael Hansen aus Dortmund betteln. Bis ihn eine Mitarbeiterin des Jobcenters auf der Straße erkannte.

Michael Hansen will eigentlich nicht mit seinem Hund Molly in einer Dortmunder Fußgängerzone sitzen und schnorren, wie er das nennt. “Man wird beleidigt, die Leute gucken mich komisch an”, sagt der 50-Jährige. Er bettelt trotzdem, an mehreren Tagen im Monat. Das Hartz-IV-Geld sei knapp, sagt Hansen. Früher habe er bei einer Zeitarbeitsfirma gejobbt. Doch jetzt habe er Durchblutungsstörungen und Schmerzen im Bein. Hansen ist seit einigen Jahren arbeitslos und wenn er sich zum Beispiel für seine Wohnung “was Neues leisten” wollte, setzte er sich in die Fußgängerzone und bettelte.

Das ging gut, bis ihn eine Mitarbeiterin des Jobcenters erkannte. Im Juli bekam Hansen einen Brief: Er halte sich regelmäßig in der Dortmunder Innenstadt auf und erziele dort Einnahmen aus einer “privaten Spendensammlung”, heißt es in dem Schreiben des Jobcenters. Er sei verpflichtet, die Höhe der Einkünfte nachzuweisen.

So beginnt eine Geschichte, die Hansen bundesweit bekannt gemacht hat, seit die “Ruhrnachrichten” über ihn berichteten. Sie wirft die Fragen auf, wie penibel der Staat mit seinen Steuergeldern umgehen muss und wo die Grenze zwischen einem würdigen und unwürdigen Alltag von Menschen verläuft, die zu den ärmsten dieser Gesellschaft gehören.

Das Jobcenter schätzte, dass Hansen beim Betteln im Schnitt täglich zehn Euro einnahm und zahlte ihm und seiner Frau vorläufig 270 Euro weniger im Monat. Hansen kontaktierte eine Anwältin, die er zufällig in der Fußgängerzone kennengelernt hatte. Und die legte Widerspruch ein: Hansen bekomme maximal sechs Euro am Tag und bettle an höchstens 20 Tagen im Monat.

Deshalb sollen ihm nun nur noch 90 Euro abgezogen werden. “Das konnte er hinnehmen”, sagt Hansens Anwältin Juliane Meuter.

Doch dann kamen zwei weitere Briefe des Jobcenters: Hansen solle seine konkreten monatlichen Einnahmen nachweisen und sich bei der Gewerbemeldestelle erkundigen, ob er eine “meldepflichtige Tätigkeit” ausführe - und gegebenenfalls ein Gewerbe oder eine freiberufliche Tätigkeit anmelden.

Da reichte es seiner Anwältin. “Er sitzt ab und zu in der Fußgängerzone herum und soll ein Einnahmenbuch führen wie ein Kleinunternehmer?”, fragt Meuter. “Das ist unverhältnismäßig und unverschämt.”

Das Jobcenter in Dortmund sieht das anders. Um eine “ausgewogene Entscheidung im Einzelfall” treffen zu können, welche Einkünfte man anrechnen müsse, brauche man “verwertbare Auskünfte”, sagt Sprecher Michael Schneider. Es sei deshalb erforderlich und auch zumutbar, dass Hartz-IV-Bezieher ihre Einnahmen offenlegten.

Dass das auch Bettler trifft, ist höchst selten. Der Bundesagentur für Arbeit ist nur ein ähnlicher Fall aus Göttingen bekannt, wo ein Mitarbeiter des Sozialamts 2009 einen Hartz-IV-Empfänger beim Betteln erkannte und seine Leistungen kürzte. Nach viel öffentlicher Entrüstung ließen die Behörden davon wieder ab.

Es gibt keine Statistik darüber, wie viele Hartz-IV-Empfänger betteln gehen. Doch Sozialverbände kritisieren seit Langem, dass die Grundsicherung zu niedrig sei. Der Regelsatz sei nicht fair berechnet, sagte der frühere Caritas-Vorstand Georg Cremer SPIEGEL ONLINE im August. Er müsse um 60 Euro im Monat höher liegen.

Um was es sich bei den Almosen handelt, die sich manche Hartz-IV-Empfänger “dazuverdienen”, ist strittig. Ist das Betteln eine “Erwerbstätigkeit”, für die in der Regel ein Freibetrag von 100 Euro gilt? Oder geht es um “Zuwendungen, die ein anderer erbringt, ohne hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht zu haben”? Die werden nicht angerechnet, wenn das für den Hartz-IV-Empfänger “grob unbillig” wäre oder wenn sie seine finanzielle Lage nicht allzu “günstig” beeinflussen.

Was das genau heißt, entscheiden die Behörden im Einzelfall - oder gar nicht. Es gebe rund sechs Millionen Hartz-IV-Empfänger bundesweit, und die Mitarbeiter der Jobcenter fragten gewöhnlich nicht nach, wer davon betteln gehe, heißt es aus der Arbeitsagentur. Die Hartz-IV-Sätze seien schließlich so festgelegt, dass ihre Empfänger damit zurechtkommen sollten.

Wo also kein Kläger, da auch kein Richter. Und in der Praxis sei es zudem schwierig, Einnahmen aus der Bettelei zu überprüfen, sagt Sozialrechtlerin Minou Banafsche von der Universität Kassel. “Die Jobcenter haben zwar das Recht dazu, und die Betroffenen haben grundsätzlich auch eine Mitwirkungspflicht, aber die konkreten Einnahmen lassen sich im Einzelfall de facto wohl kaum korrekt nachweisen.”

Ein Einnahmenbuch, wie es das Jobcenter Dortmund verlangt, wäre deshalb wenig aussagekräftig - und Michael Hansen weigert sich bisher auf den Rat seiner Anwältin ohnehin, ein solches zu führen.

Er sitze jetzt fast jeden Tag in der Fußgängerzone, sagt Hansen. Er brauche das Geld jetzt erst recht. Seit das Jobcenter ihm und seiner Frau nicht länger den Regelsatz von 736 Euro zahle, komme er mit Hartz IV wirklich nicht mehr hin.

www.spiegel.de/lebenundlernen/job/arbeitslos-in-dortmund-jobcenter-zahlt-bettler-weniger-hartz-iv-geld-a-1179606.html#ref=rss

Schals aus Schurwolle gegen das winterliche Grau

14. November 2017

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alle Schals Handarbeit, ungewöhnliche Farbkombinationen, reine Schurwolle// 85 Euro

Photos: Andreas Gärtner

MONITOR: Wie Digitalisierung Armut schafft

10. November 2017

Schöne neue Arbeitswelt: Wie Digitalisierung Armut schafft

Roboter, Computer, Algorithmen – wir sind mittendrin in der digitalen Revolution. Studien sagen voraus, dass in den nächsten zehn Jahren die Hälfte aller Berufe automatisiert wird – viele Menschen ohne Arbeit dastehen könnten und prekäre Arbeitsverhältnisse zunehmen. Eine Entwicklung mit sozialem Sprengstoff, warnen Experten. Doch wenn es um Digitalisierung geht, sprechen die künftigen Regierungsparteien über Breitband und Glasfaser statt über Arbeitsplätze und mehr Chancengleichheit.

www1.wdr.de/daserste/monitor/videos/video-schoene-neue-arbeitswelt-wie-digitalisierung-armut-schafft-100.html