hunde, stunde
13. November 2021mein bein
eine wurzel
am boden
es schlägt
keinen purzel
baum/ bald
schlägt es
die stunde
noch geht
niemand vor
die hunde.
mein bein
eine wurzel
am boden
es schlägt
keinen purzel
baum/ bald
schlägt es
die stunde
noch geht
niemand vor
die hunde.
Ingeborg Bachmann und Ilse Aichinger waren die weiblichen Stars der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur. Nun liegt erstmals der Briefwechsel der beiden vor. Eindringlich legt er ihre unterschiedlichen Lebensentwürfe in den 1950er-Jahren offen.
Gleich der erste Brief, den Ilse Aichinger im Mai 1950 an ihre Freundin schreibt, gibt einen vertrauten, liebevollen Ton vor. Es ist ihre Einladung nach Nußdorf an den Attersee zu kommen, für ein paar Tage: „Bring Dein Buch mit!“
Anfang der 50er-Jahre schreibt die junge Philosophiestudentin Bachmann gerade an ihrem ersten Romanmanuskript „Stadt ohne Namen“, hat ein paar Gedichte und Erzählungen in Zeitschriften veröffentlicht und ist mit Hörspielarbeit überfrachtet. Die fünf Jahre ältere Ilse Aichinger hat in dieser Zeit bereits ihren Roman „Die größere Hoffnung“ publiziert, der bis heute als einer der wichtigsten Nachkriegsbücher gilt. „Komm wirklich, Ingelein – Deine Ilse.“
Zwei Autorinnen von unterschiedlicher Herkunft
Eine gesuchte Nähe von Anfang an. Dabei sind die Österreicherinnen, die sich im Nachkriegswien im Literatenkreis um Hans Weigel kennengelernt haben, von so unterschiedlicher Herkunft, mit grundlegend verschiedenen Erfahrungen. Die eine ist die Tochter eines Nazis, Bachmanns Vater war schon Anfang der 30er-Jahre Mitglied der NSDAP. Die andere eine Jüdin, die mit ihrer Mutter in einem winzigen Versteck in Wien überlebte und Verwandte im Holocaust verlor.
Auffällig an diesen Briefen sind daher die Leerstellen, von Anfang an, dieses Thema wird kaum berührt. Nur einmal schwingt etwas mit, als Aichinger sich ihre Freundin gedanklich vor Augen führt: „wo Du jetzt liegst oder bist, dann seh ich das Bild Deines Vaters in k. u. k.-Uniform vor mir“.
Trotzdem schmiegen sie sich in ihren Briefen aneinander. Die eine, weil sie die Kraft hat, trotz und wegen ihrer erschütternden Erfahrungen, die andere, weil sie die Einsamkeit früh als Gefahr für sich ansah. „Sei versichert, dass Du immer dazugehörst“, schreibt ihr Aichinger. In ihrer selbsternannten Wahlfamilie nennt sie Bachmann ihre „Zwillingsschwester“ und auch ihre Mutter Berta Aichinger unterschreibt mit „Busserln, Ingebienchen, Ihre Mutti (Ersatz)“.
Zusammen gegen männlich dominierten Literaturbetrieb
Im tief vertrauten familiären Grundton geht es in den folgenden 74 Briefen von Aichinger und den 30 Briefen von Bachmann um Alltagsdinge, Geldsorgen, das Dauerthema Wohnungssuche und um turbulente Dichterbesuche. Interessant, wie die beiden Österreicherinnen im männlich dominierten Literaturbetrieb der 50 Jahre zusammenhalten. Auf den Tagungen der Gruppe 47 ist Bachmann, so schreibt sie 1952 an ihre Eltern, „außer Ilse die einzige weibliche Person und natürlich die Jüngste.“
Aber während Aichinger den „Wirbel und den Betrieb“ für gefährlich hält, sobald er „keine Zeit mehr lässt Heimweh zu haben“, stürzt sich Bachmann buchstäblich in den Literaturbetrieb. Nach ihrem Preis der Gruppe 47, ihrem Titel-Porträt auf dem „Spiegel“-Cover beginnt ihr fast kometenhafter Aufstieg.
Neue Dokumente aus Bachmanns Nachlass
Aufschlussreich und neu lesen sich die Briefe vor allem darin, wie nackt sie die unterschiedlichen Lebensentwürfe der Autorinnen offenlegen. Auch deshalb, weil Herausgeberin und Herausgeber weitere neue Dokumente aus dem privaten Bachmann-Nachlass heranziehen. Während sich Aichinger nach der Heirat mit Günter Eich für die Familie entscheidet, sucht Bachmann ihren Lebensweg einer selbstständigen, schreibenden Frau.
In einen Brief an ihre Eltern im Oktober 1959 fragt sie, ob sie eine Heirat und Kinder für sie richtig fänden, denn sie zähle sich, auch was ihren „Beruf“ angehe, mehr „zu den Männern“. Doch als Aichinger ihr die Geburt ihres ersten Kindes mitteilt, bekennt Bachmann, fast verzweifelt, ihre Sehnsucht nach Familie und dieser „kleinen Krebsigkeit“:
„… manchmal könnt ich auch heulen, weil ich das Gefühl hab, dass ich nie eins haben werd‘ und weil am Horizont absolut kein Licht auftaucht – dass es anders werden könnte mit dem Alleinsein und seiner Fatalität“.
Briefwechsel endet mit Bachmanns Beziehung zu Frisch
Die Lebenswege der einst Vertrauten entwickeln sich weit auseinander. Mit Beginn der Liebesbeziehung zu Max Frisch, die für Bachmann in einer Katastrophe enden wird, werden die Briefe weniger. 1962 kommt der Briefwechsel völlig zum Erliegen. Sie hätte gern noch mehr geschrieben, so Bachmann an Aichinger, „aber ich muss an die Maschine!“ Eines offenbart dieser Briefwechsel aufs Neue: das Dilemma einer weiblichen Schriftstellerexistenz im Korsett der 50er-Jahre.
Ingeborg Bachmann, Ilse Aichinger, Günter Eich: „halten wir einander fest und halten wir alles fest!“
Briefe. Hrsg. von Irene Fußl und Roland Berbig
Salzburger Bachmann-Edition
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021
347 Seiten, 40 Euro
3. dezember 2021
ab 18h
Vernissage!
Malerei von Bettina Sellmann und Julia Jansen
Lyrik-Lesung von Julia Mantel
Laudatio von Isa Bickmann
Offenbacher Kunstverein
Aliceplatz 11
(Eingang im Shopping-Center)
Easymagic123 lässt ausgewählte Werke der malerischen Repertoires von Julia Jansen und Bettina Sellmann aufeinandertreffen und zusammen mit Julia Mantels Gedichten eine temporäre Bindung oder Reaktion eingehen.
Julia Jansens neue Bilder sind Abbildungen digitaler Pinselstriche auf illusionistisch-konvex gewölbter, glänzender, semi-transparenter Oberfläche. Ihre räumliche Wirkung entfalten die sehr farbigen Bilder nur in frontaler Betrachtung; von der Seite wirken sie frappierend zweidimensional.
Bettina Sellmanns Bilder zeigen transparent wirkende Figuren, die Manga- und Barockeinflüsse verschmelzen. „Durchsichtige Versionen alter Meister“ offenbaren die Zerbrechlichkeit der äußeren Erscheinungen sowie auch eine innere Verletzlichkeit. Perfekte Oberflächen zerfließen und werden transformiert auf der Suche nach einer scheinbaren Essenz.
Das kommunikative Spiel mit Transparenz wird vervollständigt durch den klaren textlichen Sound von Julia Mantels wortspielerisch verwebten Gedichten, die — im Gegensatz zu ihrer Form — von enormer Kraft und Direktheit sind.
manchmal trägt das „rumhängen“ in den sozialen netzwerken auch konkrete früchte: die berliner collagenkünstlerin fehmi baumbach und die frankfurter lyrikerin julia mantel trafen hier das erste mal aufeinander und lernten sich und ihre arbeiten schätzen. inzwischen hängen collagen von fehmi im julias wohnung und fehmi hat julias bücher gelesen. der aktuelle lyrik-band von julia „wenn du eigentlich denkst, die karibik steht dir zu“ inspirierten fehmi zu mindestens einem dutzend weiteren collagen. am 23. september werden diese nun im sanremo upflamör/ falkensteinstr. 46/ kreuzberg ausgestellt. ab 20h geht es los. julia wird dazu aus ihrem buch lesen. es gelten die aktuellen corona-regeln. eine collage kostet 200 euro, ein lyrik-band 18 euro. bitte gerne erscheinen!
auszug aus “lesen & die liebe zu lausigem wetter”/ 54books
Jetzt aber: Ruhe. Buch. Julia Mantel, deren Gedichte ich lese, seit ihr zweiter Band „dreh mich nicht um“ 2011 im leider kurzlebigen Fixpoetry Verlag erschienen ist. Schlage es auf, und das erste, was ich sehe, ist eine kleine Hommage an eins meiner Lieblingsgedichte von Thomas Brasch:
streich mir das haar
aus der stirn
ich habe bretter
vorm kopf, die
die welt bedeuten
berühre mich dort
wo ich nie
gewesen bin.
Kürzlich las ich eine Lyrikanthologie, in der sich gefühlt jedes zweite Gedicht um Ländliches drehte, um Dörfer und Dorfkneipen, um Blumen, die Sonne, leider oft um wenig mehr. Don’t get me wrong: Ich mag das Ländliche, ohne Waldspaziergänge würde ich verdursten. Aber wenn Gedichte kaum mehr sind als Naturbetrachtungen, dann werde ich stutzig. Das kann sprachlich noch so gut gemacht sein, so viele Leipziger Buchpreise gibt es nicht (zum Glück!). Man muss nur ein Gedicht von Julia Mantel lesen, und schon ist die Provinz wieder aus der Lyrik vertrieben, hochkant.
Leiser Humor, grelles Lachen, knallige Nächte und leise Melancholie, sensibles Sprachspiel und die Androhung von Kalauern liegen hier nah beieinander, Julia Mantel webt Popkultur und Trash ebenso selbstverständlich in ihre Verse wie die Verbeugung vor großen lyrischen Vorbildern, und wer ihre Texte liest, merkt umso schmerzlicher, wie bieder Vieles in der deutschsprachigen Gegenwartslyrik geworden ist. Mantel hingegen hebt den Teppich und kehrt den Dreck hervor, die sozialen Verwerfungen, sie macht keinen Hehl daraus, dass Lyrik oft Hungerkunst ist: mein haus, mein auto, mein aus. / nichts ist im lot. Und: in letzter zeit bin ich nicht mehr / so komplett top-informiert / literatur da wird mir übel ey / und bei den arztromanen sowieso.
Ich lese da die einst hitzig diskutierten Schreibschulenarztsohnundtocherromane mit, aber vielleicht ist das ganz anders gemeint. Jedenfalls: Das sind Gedichte, die etwas von mir fordern. Meine ganze Aufmerksamkeit. Der Tag verschwindet, das Wetter, das Naturprosagedicht von eben verschwindet, es sind nur noch die Gedichte da, und leider habe ich das Buch wieder viel zu schnell durch, ich muss es nochmal lesen, denn erfahrungsgemäß wird es ein paar Jahre dauern, bis das nächste kommt.
das gerede
nicht nur
in der rederei
macht nicht
mehr nur
ei, ei, ei
sondern
inzwischen
viel zu oft
vor allem
kille, kille.