viel vor
Wednesday, den 3. April 2024du hörst auf
trag dich auf
meinem rücken
nach hause
lege mich ab
und zu dir
schlafen
dein atem
zug um zug
mein herz
schlag ring
in sicht
weite wohin
das auge
reicht.
du hörst auf
trag dich auf
meinem rücken
nach hause
lege mich ab
und zu dir
schlafen
dein atem
zug um zug
mein herz
schlag ring
in sicht
weite wohin
das auge
reicht.
Ingeborg Bachmann und Ilse Aichinger waren die weiblichen Stars der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur. Nun liegt erstmals der Briefwechsel der beiden vor. Eindringlich legt er ihre unterschiedlichen Lebensentwürfe in den 1950er-Jahren offen.
Gleich der erste Brief, den Ilse Aichinger im Mai 1950 an ihre Freundin schreibt, gibt einen vertrauten, liebevollen Ton vor. Es ist ihre Einladung nach Nußdorf an den Attersee zu kommen, für ein paar Tage: „Bring Dein Buch mit!“
Anfang der 50er-Jahre schreibt die junge Philosophiestudentin Bachmann gerade an ihrem ersten Romanmanuskript „Stadt ohne Namen“, hat ein paar Gedichte und Erzählungen in Zeitschriften veröffentlicht und ist mit Hörspielarbeit überfrachtet. Die fünf Jahre ältere Ilse Aichinger hat in dieser Zeit bereits ihren Roman „Die größere Hoffnung“ publiziert, der bis heute als einer der wichtigsten Nachkriegsbücher gilt. „Komm wirklich, Ingelein – Deine Ilse.“
Zwei Autorinnen von unterschiedlicher Herkunft
Eine gesuchte Nähe von Anfang an. Dabei sind die Österreicherinnen, die sich im Nachkriegswien im Literatenkreis um Hans Weigel kennengelernt haben, von so unterschiedlicher Herkunft, mit grundlegend verschiedenen Erfahrungen. Die eine ist die Tochter eines Nazis, Bachmanns Vater war schon Anfang der 30er-Jahre Mitglied der NSDAP. Die andere eine Jüdin, die mit ihrer Mutter in einem winzigen Versteck in Wien überlebte und Verwandte im Holocaust verlor.
Auffällig an diesen Briefen sind daher die Leerstellen, von Anfang an, dieses Thema wird kaum berührt. Nur einmal schwingt etwas mit, als Aichinger sich ihre Freundin gedanklich vor Augen führt: „wo Du jetzt liegst oder bist, dann seh ich das Bild Deines Vaters in k. u. k.-Uniform vor mir“.
Trotzdem schmiegen sie sich in ihren Briefen aneinander. Die eine, weil sie die Kraft hat, trotz und wegen ihrer erschütternden Erfahrungen, die andere, weil sie die Einsamkeit früh als Gefahr für sich ansah. „Sei versichert, dass Du immer dazugehörst“, schreibt ihr Aichinger. In ihrer selbsternannten Wahlfamilie nennt sie Bachmann ihre „Zwillingsschwester“ und auch ihre Mutter Berta Aichinger unterschreibt mit „Busserln, Ingebienchen, Ihre Mutti (Ersatz)“.
Zusammen gegen männlich dominierten Literaturbetrieb
Im tief vertrauten familiären Grundton geht es in den folgenden 74 Briefen von Aichinger und den 30 Briefen von Bachmann um Alltagsdinge, Geldsorgen, das Dauerthema Wohnungssuche und um turbulente Dichterbesuche. Interessant, wie die beiden Österreicherinnen im männlich dominierten Literaturbetrieb der 50 Jahre zusammenhalten. Auf den Tagungen der Gruppe 47 ist Bachmann, so schreibt sie 1952 an ihre Eltern, „außer Ilse die einzige weibliche Person und natürlich die Jüngste.“
Aber während Aichinger den „Wirbel und den Betrieb“ für gefährlich hält, sobald er „keine Zeit mehr lässt Heimweh zu haben“, stürzt sich Bachmann buchstäblich in den Literaturbetrieb. Nach ihrem Preis der Gruppe 47, ihrem Titel-Porträt auf dem „Spiegel“-Cover beginnt ihr fast kometenhafter Aufstieg.
Neue Dokumente aus Bachmanns Nachlass
Aufschlussreich und neu lesen sich die Briefe vor allem darin, wie nackt sie die unterschiedlichen Lebensentwürfe der Autorinnen offenlegen. Auch deshalb, weil Herausgeberin und Herausgeber weitere neue Dokumente aus dem privaten Bachmann-Nachlass heranziehen. Während sich Aichinger nach der Heirat mit Günter Eich für die Familie entscheidet, sucht Bachmann ihren Lebensweg einer selbstständigen, schreibenden Frau.
In einen Brief an ihre Eltern im Oktober 1959 fragt sie, ob sie eine Heirat und Kinder für sie richtig fänden, denn sie zähle sich, auch was ihren „Beruf“ angehe, mehr „zu den Männern“. Doch als Aichinger ihr die Geburt ihres ersten Kindes mitteilt, bekennt Bachmann, fast verzweifelt, ihre Sehnsucht nach Familie und dieser „kleinen Krebsigkeit“:
„… manchmal könnt ich auch heulen, weil ich das Gefühl hab, dass ich nie eins haben werd‘ und weil am Horizont absolut kein Licht auftaucht – dass es anders werden könnte mit dem Alleinsein und seiner Fatalität“.
Briefwechsel endet mit Bachmanns Beziehung zu Frisch
Die Lebenswege der einst Vertrauten entwickeln sich weit auseinander. Mit Beginn der Liebesbeziehung zu Max Frisch, die für Bachmann in einer Katastrophe enden wird, werden die Briefe weniger. 1962 kommt der Briefwechsel völlig zum Erliegen. Sie hätte gern noch mehr geschrieben, so Bachmann an Aichinger, „aber ich muss an die Maschine!“ Eines offenbart dieser Briefwechsel aufs Neue: das Dilemma einer weiblichen Schriftstellerexistenz im Korsett der 50er-Jahre.
Ingeborg Bachmann, Ilse Aichinger, Günter Eich: „halten wir einander fest und halten wir alles fest!“
Briefe. Hrsg. von Irene Fußl und Roland Berbig
Salzburger Bachmann-Edition
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021
347 Seiten, 40 Euro
also, mein mann
bei dem gibt`s jetzt
ne unglaubliche challenge
in der karriereentwicklung:
die sache mit dem luder
ist wohl nun endlich
vollkommen
aus dem ruder gelaufen
neuerdings vögelt
er vermehrt obdachlose
seine neue aufgabe
scheint ihm
endlich wieder
sehr viel spass
zu machen
seine qualitäten
als trendsetter
hatte er ja
bekanntlich nie
verloren.
lässt die eiche
mich erbleichen
bei der beichte
empfinde ich dein
wegschleichen
eher als seicht
denn leicht.
beim dichten
brechen sich
meine gedanken
herunter
auf ein paar
karge worte
und vielleicht
etwas das mich
zum lachen
bringt
alles was ich habe
ist eine küchenschabe
& co.
die lupe wird so
lange aufs papier
gehalten
bis es anfängt
zu brennen.
doch
ich hülle
mich anschliessend
nicht in asche.
aus hülle
wird fülle.
mach ich
scheine
wenn ich
scheine
weisst
du was
ich meine
wenn du
erscheinst
schwein
gehabt:
wein
hab ich
ich bin
eine
keine
keine
wir
weinen
beim
vereinen.
EIN BETRIEBSUNFALL DES DEUTSCHEN KINOS
Es gibt Filme, die entziehen sich von vornherein der gängigen Marktlogik der Filmverwertung allein schon dadurch, dass es quasi unmöglich ist, ihre Handlung auch nur annähernd nachzuerzählen. Und: Es sind die meist die interessanten, die neuen und diejenigen, die sich der grassierenden Seuche des allgegenwärtigen Storytelling entziehen. Denn wenn jedes Start-up und jeder Kaninchenzüchterverein seine Geschichte mit Mitteln der Narration an den Konsumenten, den Anwender, den User bringen will, setzt etwas an, das man als massive Entwertung von Erzählungen ansehen muss: Wenn alles (eine) Geschichte beinhaltet und als solche erzählt wird, wieviel Platz bleibt dann noch für die klassischen Erzählmedien, für das Buch, für den (Spiel)Film?
Die Filmemacherin Susanne Heinrich, die selbst aus der Schriftstellerei kommt und bisher zwei Romane und zwei Erzählbände veröffentlicht hat, weiß ganz genau, so hat es den Anschein, um die Wirkmächtigkeit wie um die Brüchigkeit von Geschichten. Ihre Protagonistin (Maria Rathscheck) ist ebenfalls Schriftstellerin, doch wie sie mehrmals im Film betont hat sie gerade eine Schreibblockade und hängt seit einiger Zeit am ersten Satz des zweiten Kapitels fest. So unbehaust, wie sie intellektuell ist, gestaltet sich auch ihre Wohnsituation. So wie es in Oh Boy der wesentliche Antrieb des Slacker-Protagonisten war, einfach nur eine Tasse Kaffee zu bekommen, ist „das melancholische Mädchen“ auf der Suche nach einem Schlafplatz. In den folgenden 14 Episoden, die den Film strukturieren und die so unterschiedliche Themen wie Depression, den Rückzug von Frauen in die Mutterrolle, den Selbstoptimierungswahn und andere Auswüchse unserer neoliberalen Warenwunderwelt verhandeln, bewegt sie sich durch extrem stilisierte Settings und Szenenbilder, die aussehen, als seien sie Kulissen für verschiedenen Werbespots eines mit wechselnden Drogen bis zum Anschlag abgefüllten Art Directors.
Immer leicht abwesend und meist völlig ohne Emotion plaudert sich die depressiv-zynische Autorin durch unterschiedliche Begegnungen mit anderen, vor allem männlichen Profil- und Großstadtneurotikern, meist in Frontalaufnahmen aufgenommen und dadurch stets so wirkend, als spräche sie halb zu sich selbst, halb zum Publikum. Das alles könnte extrem nervig und maniriert wirken, doch stattdessen funktioniert der Film ausgesprochen gut als gewitzte, experimentelle Komödie, die munter zwischen den Kategorien hin und her springt, die mal Popsong oder Gedicht ist, dann wieder Satire oder philosphischer Exkurs. Ein Film, in dem Lanthimos, Brecht und die Dadaisten miteinander fröhliche Urstände feiern.
Mit haarscharf und extrem knapp kalkuliertem Budget (25.000 Euro), unter falscher Flagge (gegenüber der Hochschule war der Film als 30-Minüter ausgegeben worden, weil Heinrich bislang nur einige Übungen absolviert hatte) sowie mit unbekannten Darsteller*innen und ausgetüftelten Sets von extremer Sparsamkeit und Künstlichkeit zwischen Bumsbar, Bett und Hochkulturtempel gelingt es Susanne Heinrich, all das einzulösen, was dem deutschen Gegenwartskino sonst eher fehlt: Das melancholische Mädchen ist extrem smart und auf der Höhe der Zeit, er ist poppig und philosophisch, frisch und ganz und gar gegenwärtig, streng in der Form und zugleich unglaublich verspielt, diskursiv beschlagen und lustig zugleich. Ein Film von der Sorte, dass man es kaum glauben kann, weil doch eigentlich alles in der deutschen Förderlandschaft darauf abzielt, genau diese Art von Kino systemisch und systematisch zu verhindern. Ein Betriebsunfall gewissermaßen — aber was für einer.
www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/das-melancholische-maedchen-2019