Archiv der Kategorie 'Schreiben'
Lesung im Kulturlabor, Berliner Strasse 32
Thursday, den 10. March 2022Pressestimmen und Testimonials zum ‘Karibik”-Band
Friday, den 28. January 2022Facebook-Post von Martin Piekar
Friday, den 10. December 2021 Heute gibt’s ne Weihnachtsgeschenk-Empfehlung: für alle Unentschlossen, Narren, Liebhaberinnen.
Julia Mantel - Wenn du eigentlich denkst, die Karibik steht Dir zu.
Lyrik vom Feinsten (nicht vom Feisten) aus Frankfurt, mit Witz und Lakonie, mit Beiläufigkeit, Sprachspiel, Lautstärke und immer auf Zack.
Was ich an Julias Lyrik mag, ist ein Herauskommen in der Sprache. Da tritt etwas heraus aus dem Sprechen einer Person, das gleichzeitig Sprachspiel und Realität ist. Da sind die Kalauer und die Schenkelklopfer aber auch die tiefen Bekenntnisse und Offenbarungen über sich selbst. Ich empfinde diese Mische als heilsam, denn sie macht mich begreifen, dass meine Fähigkeit über mich zu lachen tief verwurzelt ist mit meiner kritischen Selbstbetrachtung. Und dabei konnte es nichts frankfurterisches und direkteres geben als Julia Mantels Sprache: direkt und doch verspielt. Die Sprache will etwas tief Menschliches vermitteln - auf der Straße mit nem Bier, per WhatsApp oder doch als Prime Sendung via Jeff Bezos…
Gerade im ersten Kapitel des Buches traut sich Julia Mantel an längere Texte. Ansonsten in kurzen Pointen beheimatet, tritt sie aus der Komfortzone in den Kreis der Kritik und erinnert sich, “wie wir immer so zu Rio geweint haben” - schöner Titel und melancholische Einstimmung auf die Wut, die Verzweiflung, die immer im Wortwitz, im Kalauer Mantels mitschwimmen.
Ich kann mir vorstellen, dieses Buch genauso inner Kneipe, inner Bibliothek oder auf’m Klo zu lesen. Als hätte es kein unpassenden setting. Chapeau Julia Mantel, Chabo, Frankfurter Schule.
Erschienen in der Edition Faust, 2021. Bäm
Lyrik-Video-Clips
Wednesday, den 8. December 2021www.youtube.com/watch?v=uPgNP8PmQ38
www.youtube.com/watch?v=9-VLVNTvqxI
www.youtube.com/watch?v=RuI3QgfWJco
Kamera: Nina Werth
Animation: Anja Gsottschneider
gefördert durch das Brückenstipendium 2021
der Hessischen Kulturstiftung
easymagic123- einführungsrede von dr. isa bickmann
Monday, den 6. December 2021glamorous and fabulous
easymagic123 im Kunstverein Offenbach
Ist eigentlich eine Ausstellung, an der ausschließlich Frauen beteiligt sind, zwei Malerinnen und eine Lyrikerin, per se eine feministische Veranstaltung? Eines ist sicher: Weibliche Benachteiligung bleibt ein Dauerthema im Kunstbetrieb, solange der internationale Auktionsmarkt immer noch zu 98 Prozent männlich dominiert wird, was heißt, dass man als Künstlerin von Vornherein schlechtere Karten hat.
Und wo könnte der Feminismus besser aussehen als in einem Shopping-Center? Der Offenbacher Kunstverein befindet sich mitten in einem Einkaufsparadies – ein Kunsttempel im Konsumtempel. Kunst und Konsum sind tatsächlich nicht sehr weit voneinander entfernt, denn Objekt und Ware finden auch in einer Kunstinstitution zueinander: Geboten wird dort eine Ware für die Augen, die allerdings zuvorderst nicht als kommerziell verortet wird, die aber, und da gleicht sie der Konsumware, Aufmerksamkeit begehrt. Sie richtet sich an den Gesichtssinn, der für die Aufnahme von optischen Reizen und deren Verarbeitung zuständig ist. Nichts anderes geschieht beim Shopping.
„Jetzt kreisen unsere Arbeiten seit Jahren um die Suche nach dem authentischen Glamour“, umschrieb mir die Lyrikerin Julia Mantel die Gemeinsamkeiten der drei Frauen. Was könnte den „authentischen Glamour“ schöner verdeutlichen als Julias dunkle Stimme, mit der sie ihre Gedichte vorträgt und in pfiffigen Wortspielen voller Klangfiguren, Kunst und Leben zusammenbringt. Ihre Verse lassen generationsspezifische Erinnerungen aufkommen. Da sind zum Beispiel die Zeilen „sie gefallen mir / sie gefallen mir / sehr“ , die als Romy-Schneider-Zitat aus einer deutschen Talkshow von 1974, dem Geburtsjahr der Lyrikerin, erkannt werden können, eine öffentliche Ermächtigung der Schauspielerin, wagte damals doch kaum eine Frau, diese Worte zu einem Mann zu sprechen.
Was macht ein Frauenleben aus zwischen dem schnöden Alltag und dem authentischen Glamour? Die Kategorie „Stricken“ auf Mantels Unvermittelbar-Blog stellt selbstbewusst das Handwerk neben die Poesie – hier darf geshoppt werden! – Sie hinterfragt keineswegs weibliche und dabei oft der Frau unterstellte dilettierende, sich handwerklich äußernde Kreativität. Darüber sind wir doch seit Rosemarie Trockel längst hinaus, die diese Hinterfragungen in die bildende Kunst gebracht hat und heute zu den erfolgreichsten weiblichen Künstlerinnen gehört. „ich darf so bleiben wie ich bin“, schreibt die Dichterin, „echt jetzt?!/ weiß ich jetzt ehrlich gesagt gar nicht / wie ich damit umgehen soll.“ Dem weiblichen Streben nach Vervollkommnung, Verschlankung, Verschönerung lassen diese Zeilen einfach die Luft raus!
Und der Glamour? Mantel schreibt: „oft trügt der schein nicht nur, er trübt / er betrübt vielmehr.“ Dabei steht Dir/uns allen ja eigentlich die Karibik zu, so der Titel ihres vierten Lyrikbandes. Es reicht aber nur zu einer Fototapete mit Sonnenuntergang in Blutorangenrot , in der Farbe des Saftes, den man bei Aldi bekommt. Das ist komisch und tragisch zugleich.
Julia Mantel kreiert eine sprachliche Atmosphäre, die das Banale des Alltags benennt, doch in eine offene interpretierbare Form einbettet und an den Dialog der Malerinnen, der schon seit der gemeinsam besuchten Städelschule währt und bisher in der in Düsseldorf und Essen gezeigten Schau easymagic123 einen Reflektionsraum bot, so offen und frei andockt, dass Berührungen vage bleiben, aber sich doch ein persönliches Verhältnis dazu nicht ausblenden lässt.
Bei der Betrachtung der Motive, die Julia Jansen auf Leinwand bannt, stellt sich individueller Blickbezug her. Es sind Erinnerungen eigener Empfindungen gegenüber dem Haptischen, Glänzenden, Verlockenden eines Gegenstandes, der von der Malerin zeit- und ortlos spektakulär-unspektakulär dargeboten wird. Indem wir also über den Gegenstand nachdenken, den Jansen zur Betrachtung inszeniert, hat sie uns auch schon gewonnen über dieses ihren Bildern innewohnende übernatürliche Leuchten. Die Veredelung des Gegenstandes, sein Glamour, verweist auf das eigentliche Thema: die Malerei. Malerei ist Illusion, und Malerei ist Licht. Die Essenz dieser Malerei ist das Malerische selbst, in einer Art Sfumato von atmosphärischen Schleiern überzogen wie nicht scharfgestellt, mal Stoff und Figur, mal abstrahierend und glänzender Raumkörper. Wichtig ist der Künstlerin, dass der Pinselstrich erkennbar bleibt und nicht alles mit dem Blender verrieben wird. Jansen nutzt fotografische Vorlagen, die sie selbst herstellt. Die Stoffarrangements ihrer „Torsi“ werden mit einem Scheinwerfer beleuchtet und fotografiert. Das Modell und seine Fotografie bilden die Vorlagen, die dann auf Leinwand übertragen werden. Neuerdings arbeitet Jansen mit einem Malprogramm, mit dem sie Farben und Lichteffekte mühelos am Bildschirm verändern kann. Das digitale Ergebnis übersetzt sie dann in Malerei. So sind diese durch Lichthöhungen an Kissen erinnernde Formen entstanden, die keinesfalls selbst Kissen sind wie bei Gotthard Graubners Kissenbildern, sondern sich aufgrund ihrer Lichtreflexe aus der flachen Bildebene räumlich hervorheben. Sie werden nach den verwendeten Farben benannt, wie „Magenta, Zinkweiss“ oder „Cyan, Hellgelb“.
Jansen spielt mit unserer Wahrnehmung und macht deutlich, dass ihre verführerisch „luxuriöse“ – das Adjektiv nutzt sie selbst – von Licht durchwirkte Malerei (von Lux, lat. Licht) Illusion ist. Annelie Pohlen beschrieb das Konzept so: „Das Licht gaukelt vor. Die Lichtregie im Bild gaukelt nicht minder vor. Dabei setzt Julia Jansen alles daran, der Wahrnehmung dieses Gaukelspiel tatsächlich vor Augen zu halten.” Während die Malerei selbst authentisch bleibt, ist die in der Malerei reflektierte Wirklichkeit eine trügerische Erscheinung. Dazu nutzt Jansen Fotoästhetik, wie sie in einem Künstlerinnengespräch mit Bettina Sellmann sagte. Es sei außerdem Luxus, sich Dinge via Malerei anzueignen, ohne sie besitzen zu müssen. Wir erinnern uns an Julia Mantels Bild der Karibik, das als Fototapete daherkommt.
Jansen macht den Sehprozess deutlich. Sie tritt mit uns in den Dialog, was eine Steigerung erfährt, durch den Dialog mit der Malerin Bettina Sellmann, die wie sie als Meisterschülerin bei Thomas Bayrle ihr Studium abschloss. Beide kennen sich seit 1992 und erzählen, dass sie damals stundenlang im Atelier ihre Bilder diskutiert haben. So unterschiedlich beider Malerei ist, so gut passt sie zusammen. Begründen lässt sich dies wohl mit den Qualitäten des Malerischen: Farbe, Textur, Oberfläche und Inszenierung.
Bettina Sellmann verweist auf das „Bad Painting“ der 1980er/1990er Jahre, das sie aus weiblicher Perspektive weiterverfolge. Und weil man sich als Künstlerin in jener Zeit absichtsvoll von allem distanzierte, was vielleicht als „von einer Frau gemalt“ wahrgenommen werden konnte, war dies für sie der Anlass, eben hier anzusetzen und zu schauen, wie sehr das Süß-Elegante ausgereizt werden kann.
„Cute Empowerment“ nennt Annekathrin Kohout die Bewegung, die über das Internet erschienen ist und sich den dunklen Seiten des Netzes entgegenwirft, um in rosa-glitzernden Kawaii-Figuren die Niedlichkeit als positiven Stimulus zu nutzen. Takashi Murakami hat diese Manga-Bildsprache zum Geschäftsprinzip gemacht. Bettina Sellmann nutzt ihre pastellfarben-zuckrige Barock- und Kawaii- oder Kidult-Figuren, um sich einer Ästhetik zu bemächtigen, die bislang einer klischeehaften und diskriminierenden Zuweisung diente. Durch die Affirmation überwindet sie Vorurteile, lässt diese transparent werden.
Auf dem großen „Weihnachtsbild“ zieht sie alle Register der Malens: lasierender Auftrag, herabtropfende dünne Farbe, Farbdruck und 3D-Paste bilden einen Fest-Traum mit rosenbedruckter Tapete ab. Daneben versammelt sie aktuelle Werke mit Verweisen auf ihre Motive, die sie aus der Kunst des Barock und der Manga-Welt bezieht. Die Gesichter und Figuren erscheinen fluide, lasierend-leicht und flirrend-bewegt auf der Leinwand, kindliche Farben deuten riesige Augen, sich auflösende Gesichter und bewegte Figurinen an. Der „Enlightened Dancer“ wirkt wie ein in eine blaue Explosion getauchtes durchscheinendes Negativbild. „Electric Doll“ scheint sich ins Ungefähre aufzulösen. Die Puppe ist ganz und gar transparent, aber immer noch Figur. Obwohl Sellmanns Werke zeichnerisch wirken, wie Julia Jansen bemerkte, trennen sie Welten von der Comiczeichnung. Dazu sind sie viel zu bewegt, es fehlt ihnen das Statische der Umsetzung.
Sellmann nutzt ihr malerisches Können, und das gilt auch für Julia Jansen, um Transparenz/Stofflichkeit und Bildraum, Inszenierung und Oberfläche zum eigentlichen Gegenstand ihrer Bilder werden zu lassen. Das Immaterielle, Illusionistische benennt das Objekt. Das Comichafte wandelt sich um in Malerei. Die Fiktion berührt die Wirklichkeit, wenn Julia Jansen betont, dass sie sich den Gegenstand nicht kaufen müsse, um ihn zu besitzen. „Ich kann ihn malen.“ Und das will sie zelebrieren: „Warum soll ich Asche malen, wenn es auch Gold, Blingbling und Lichteffekte gibt?“
In beider Werken wird die Fiktion lebendig: Drapierten Hüllen, glänzenden Oberflächen bei Jansen, Kawaii- und Barockfiguren bei Sellmann wird eine Bühne geschaffen. Die Stofflichkeit zeigt sich im besten Licht, wird mit rauschhaftem Farbauftrag umkreist und mit Glitter bestäubt. Authentizität stellt sich über die Offenlegung der Fiktion ein. Das macht dann den „authentischen Glamour“ aus. Julia Mantel ist es wichtig, in ihren Versen einen „Sound der Zeit“ zu finden, der Ambivalenzen zur Sprache bringt und als Reaktion auf unsere Gegenwart verstanden werden kann: auf Instagram-Inszenierung, also jener medialen Bühne des Egos bis hin zu medialen Manipulationen oder der aggressiven Sprache in den Social-Media-Kanälen. So bietet easymagic123 das Passwort zu mehr Zärtlichkeit, Cuteness und Glanz gegen die Düsternis.
Ich wollte die Karibik und bekomme Aldi. Aber das Orangerot ist glamourös. Und darauf allein kommt es an!
Zeichen der Zeit: Gedichte von Julia Mantel
Friday, den 3. December 2021Was ist gegensätzlich zu Blümchenlyrik?
Was, wenn Wortspiel keine Spielerei ist?
Was ist Postmodernismus?
Was kommt 100 Jahre nach der Neuen Sachlichkeit?
Was folgt auf Dadaismus?
Julia Mantels Lyrikband ist die variantenreiche Antwort auf sämtliche eingangs gestellten Fragen. Konkret:
Gleich im ersten Gedicht konfrontiert Julia Mantel ihre Leserschaft mit einer Salve von Versen, von denen jeder alleinstehend aussagekräftig ist und zugleich Fragen aufwirft, deren Antworten naheliegen, jedoch im Gesamtkontext des Gedichtes weiter gedacht werden müssen:
„wenn du an dich glauben dürftest, ohne je daran glauben zu müssen.“
(…)
„wenn die schöpfung nicht dauererschöpft wäre.“
(…)
„wenn durch die adern kein hadern mehr flösse.“
Jeder Mensch hat ja ein Anrecht auf etwas Glück. „Wenn Du eigentlich denkst, die Karibik steht Dir zu“ ist zwar ein sperriger Buchtitel, aber ein zutreffender. So wie man beim Lesen des Titels inne halten muss, um ihn zu erfassen, danach um ihn aus eigener Überlegung heraus gedanklich zu vervollständigen, ebenso ergeht es den Leser*innen bei den Gedichten dieses Bandes. Gesellschaftlich etablierte Grundannahmen, wie auch Errungenschaften der Moderne, werden in Frage gestellt, Folgeerscheinungen veranschaulicht. Der gelegentliche Sarkasmus ist die angenehme Komponente:
„wenn an der angel nicht immer soviel mangel hinge.“
Die Lyrikerin thematisiert Alltägliches aus Deutschland: In entblößendem Umgangston wird ach so Empörendes erzählt, ebenso wie knapp formulierte Schieflagen der leisen Art vermittelt. Mal wird südhessisch gebabbelt („drunter mache mers nett!„), mal werden Nomen in ihrer puren Eindeutigkeit in Form gesetzt; lesbar wie ein Stakkato:
anker ranken
ich hielt um
seine hand
an
und starrte
dann die wand
an
eine freundin brachte
daran strand
an.
Zwischenmenschliche, wie auch soziale Trostlosigkeit – die großen Themen des Buches – kann man wohl kaum knapper und damit pointierter in Verse fassen. Diese illusionslose Nüchternheit fand schon mal Anfang der zwanziger Jahre Anwendung und Entwicklung. Damals schrieb Erich Kästner „Fabian“. Nun wurde der Roman verfilmt. Die Zeichen der Zeit sind durchaus vergleichbar.
Mantel wählt bewusst banal klingende Formulierungen wenn sie gefestigte Ideale anprangert:
„dann hängste mit dem (fast-dumm-wie-)strohhut in der hängematte“ (…)
„und plötzlich
fällt dir dann
auch wieder
der barschel
in der badewanne ein
weil du hängst ja
auch irgendwie rum
(harry, hol schon mal den wagen)“
Banal sind solche Assoziationen in mehrerlei Hinsicht sicherlich nicht. Die vermeintlich zufallsgesteuerte Aneinanderreihung von Anspielungen ergibt in ihrer Gesamtheit kein stimmiges Bild; sehr wohl aber ein gut erkennbares Bild. Die Verzerrungen und überraschenden Wendungen stehen dem Vertrauten entgegen, rütteln daran, entlarven. Provokationen sind per se unangenehm, werden aber Dank Mantels Kreativität zur Denkaufgabe und durchaus auch zum Lesevergnügen.
Julia Mantel wurde Mitte der Siebziger in Frankfurt a.M. geboren, studierte Angewandte Kulturwissenschaften in Lüneburg, machte der Generation Praktika alle Ehre, wechselte ins Landleben und wieder zurück zum Citylife, changiert zwischen Strickkunst und Lyrik, engagiert sich im Hessischen Schriftstellerverband wie auch im losen Literatursalon Fluchtentier. Nun hat sie den vierten Gedichtband vorgelegt, passender Weise wiederholt bei Edition Faust. Deren Trägerin, die Faust Kultur Stiftung, betreibt neben ihrer editorischer Tätigkeit auch das Onlineportal faustkultur.de, organisiert die jährliche Veranstaltungsreihe Textland und fördert tatkräftig zahlreiche Kulturprojekte.
Fehmi Baumbach griff bei ihren Text-Bild-Collagen auf Lyrik von Julia Mantel zurück und schuf in bester Dadaismus-Manier Kunstwerke, die im Herbst in Berlin ausgestellt worden sind. Julia Mantels Gedichte: lesens- und sehenswert. Es lohnt sich genauer hinzuschauen.
Rezensent: Ortwin Bonfert
Julia Mantel: Wenn du eigentlich denkst, die Karibik steht dir zu
Gedichte
Entrèe: Paul-Henri Campbell
Aprèe: Alexandru Bulucz
Edition Faust, Frankfurt a.M. 2021
84 S., 18,- Euro.
ISBN: 978-3-9454-87-6
Hinweis: Das Rezensionsexemplar wurde auf Anfrage dankbarer Weise unentgeltlich zur Verfügung gestellt.
“Entlarvungen in Schmetterlingsform” von Timo Brandt/ Signaturen-Magazin
Saturday, den 27. November 2021Entlarvungen in Schmetterlingsform
„wenn unsere besos mächtiger wären als ein einziger bezos.
wenn es immer echt sein könnte, ohne dass man es allen recht machen müsste.
wenn nicht nur kinder und narren immer die wahrheit sagten.
wenn niemand mehr mit den augen rollen müsste,
wenn die anderen
aus ihren rollen fielen.
wenn sich die geliebte endlich geliebt fühlen würde.
wenn wir dann ein paar tangoschritte weiter wären.
wenn du an dich glauben dürftest, ohne je dran glauben zu müssen.“
Beim Betreten von Julia Mantels zweitem Gedichtband bei der Edition Faust (nach „Der Bäcker gibt mir das Brot auch so“, 2018) schlägt einem anfangs das Gedicht „stehen und liegen (lernen)“ entgegen, eine Aufzählung voller Wortspiele/Kalauer und gelegentlich gespickt mit Referenzen, eingehegt durch das mantraartig wiederholte „wenn“ am Anfang der Sätze. Eine, rhetorisch gesehen, runde Sache, die aber in ihrer Versessenheit auf Assonanzen ohne Unterlass aneckt.
Das nächste Gedicht „ich hab da glaub ich was für dich: so n tapetenhersteller aus der pfalz (international) braucht ne messehostess (mehrsprachig), fand dich sehr beeindruckend“ setzt dann noch einen drauf, bricht aus dem Gehege aus und verlässt die Rhetorik, laviert und mäandert frei durch und auf einer Flut von Anspielungen und Verspieltheit, wobei man dahinter, besonders bei letzterer, mehr als einmal die Gelüste der Lakonie vermutet.
„oft trügt der schein nicht nur, er trübt.
er betrübt vielmehr.“
Mit ihrer überbordenden Energie setzen diese beiden Auftaktgedichte quasi den Rahmen für die meist kürzeren und weniger expressiven Texte im Rest des Bandes. Zum Teil schlagen diese aus in Richtung Rhetorik, zum Teil in Richtung Verspieltheit, und versuchen, so erscheint es mir, in dieser dualen Verquickung eine Art Poetik des Lässlichen zu kreieren.
Mit dem „Lässlichen“ meine ich nicht das „Geringe“, sondern etwas, das in der Beiläufigkeit, mit der es in der Sprache verhandelt wird, lediglich gering erscheinen könnte. Gegen dieses Geringerscheinen setzt Mantels Poetik die akustische Nähe der Worte und die dazwischen sich auftuenden semantischen Verwerfungen ̶ ihre Verse springen leichtfüßig und -sinnig darüber.
(Mehr als einmal fühlte ich mich während der Lektüre an einen Essay von Lynn Salcom erinnert, wo es heißt „Jedes Wort hat eine festgelegte Bedeutung, aber es hat auch zahlreiche Anliegen, die wir mit ihm zusammen vorbringen, ohne es zu ahnen, wenn wir es aussprechen, hinschreiben, denken. Die Huldigung dieser Anliegen nennt man Poesie.“
„arm
greift
ins leere
ab und zu
nicht
arm sein (wollen).“
In Mantels Poesie finden die Worte in ihrer klanglichen Ähnlichkeit zueinander, um die Welt nicht nur zu bedenken, sondern sich ihre Hälse zu verrenken, damit sie nicht nur den üblichen Ausblick von ihrer eigenen Warte haben, sondern aus diesem Abwarten, Verharren in der eigenen Hülle ausbrechen können, hin zu einem Punkt, an dem die Irritation zu einer Irisration wird, die unseren Augen hilft im einzelnen Wort mehr zu sehen als einen Pfad, den eine gesicherte Bedeutung beschreitet.
Natürlich wirkt manchmal nichts so gesichert wie ein Kalauer und es kann dann und wann schwierig sein, in Mantels Versen die Unsicherheiten zu erkennen, auf die sie eingeht und hinweist, zumal sie zusätzlich einiges andere, teilweise auch Agitatorisches, in ihren Gedichten unterbringt. Es lohnt sich bei vielen ihrer Gedichte aber, hinter die strikten Oberflächen zu schauen und vor allem fortzuspinnen, was ihre Sprachkabbeleien an Zwischentönen absondern. Es steckt viel von der Lakonie und Lässigkeit von Mantels erstem Band darin, gepaart mit einem, manchmal gar an Jandl gemahnenden Kalauer-Esprit.
Zum Abschluss muss ich zugeben, dass mir trotz all der spannenden Auseinandersetzungen, die dieser Band bereithält, ein Gedicht am besten gefallen hat, das sehr schlicht ist, geradezu unhintergründig schön. Es heißt „für thomas brasch“ und geht so:
„streich mir das haar
aus der stirn
ich habe bretter
vorm kopf, die
die welt bedeuten
berühre mich dort
wo ich nie
gewesen bin.“
Mantels Gedichte entlarven, und sie sind gleichsam flirrend wie Schmetterlinge. Sie sind direkt, haben aber gleichsam etwas Verschlagenes. Man meint, sie auf den ersten Blick erkennen zu können, ist aber trotzdem auf der Hut vor ihnen. Man denkt ja manchmal wirklich, etwas stände einem zu, etwas stände einfach da. Aber man sollte genau hinschauen, vielleicht sogar genauer.
Timo Brandt
Julia Mantel: Wenn du eigentlich denkst, die Karibik steht dir zu. Gedichte. Frankfurt a.M. (Edition Faust)2021. 84 Seiten. 18,00 Euro.