Friederike Gösweiners Roman „Traurige Freiheit“ thematisiert die prekären Lebensumstände der „Generation Praktikum“. Hannah, die 30-jährige Protagonistin, zieht für ein journalistisches Volontariat nach Berlin und jobbt dort als Kellnerin. Ihre neue Freiheit wird zu einem Fall in die Tiefe. Riccarda Gleichauf hat das Buch gelesen.
“Traurige Freiheit“ von Friederike Gösweiner hat kürzlich den Österreichischen Buchpreis in der Kategorie Shortlist Debüt bekommen. Es ist ein wichtiger Text, weil er ein Thema anspricht, das viel zu wenig im öffentlichen Diskurs wahrgenommen wird. Er geht um die Kinder der 1980er, die „Generation Praktikum“, die doch eigentlich alles hat, die sich nun wirklich nicht beklagen kann.
Vordergründig ist es vielleicht so, dass auch AkademikerInnen über kurz oder lang eine gutbezahlte Arbeit finden, wenn sie sich nur richtig anstrengen. Dabei ist Vorsicht geboten. Die Arbeitslosenzahlen in Deutschland sinken laut Statistiken zwar fleißig, aber sie sprechen nicht davon, welche Jobs arbeitslose JournalistInnen zum Beispiel irgendwann aus der Not heraus annehmen. Hannah aus „Traurige Freiheit“, kurz vor dem vollendeten 30. Lebensjahr, sucht sich den für Frauen typischen Notnagelberuf aus. Sie wird Kellnerin in einem Café. In die Stadt Berlin ist sie gezogen, weil ihr freiheitsverheißender Ruf, aber vor allem ein Volontariat bei einer Zeitung sie dorthin lockt. Sie muss sich dafür von ihrer großen Liebe, einem Arzt, trennen, weil dieser weniger emanzipiert ist als sie selbst. Jakob versteht nicht, warum seine Freundin sich nicht von ihm aushalten lassen will, sondern ihren eigenen beruflichen Weg gehen möchte.
Die permanente Erinnerung an den Ex-Freund macht die Freiheit zu einer traurigen Freiheit oder vielmehr zu einer traurigen Einsamkeit. Mit Freiheit hat dieser Zustand nichts mehr zu tun. Es geht um die Einsamkeit als abgrundtiefe, bodenlose Emotion.
Dabei könnte sie auch kreative Kräfte wecken oder wenigstens produktive Wut. Stattdessen versinkt die Protagonistin nach Beendigung des Volontariats und ohne Jobaussichten in Hoffnungslosigkeit und rationalisiert diesen Zustand, um ihn damit gleichzeitig zu bagatellisieren – ein typisches Verhalten für AkademikerInnen:
„Vielleicht fühlten alle diese Aussichtslosigkeit, die sie fühlte. Vielleicht war dieses Gefühl normal. Vielleicht war das einfach das Erwachsenenleben, immer schon gewesen, und sie waren nur in keiner Weise darauf vorbereitet worden.“
Man muss schon laut werden
Auf eine Sache wird man als Geisteswissenschaftlerin im Studium auf jeden Fall nicht vorbereitet. Auf die Tatsache, dass da draußen niemand exklusiv auf dich wartet, dass es eine Illusion ist, dass du nur Bewerbungen schreiben musst, und schon nehmen sie dich mit offenen Armen. Man muss schon laut werden, Aufmerksamkeit erregen, Vitamin B haben oder zumindest einen Shitstorm im Netz provozieren, um sichtbar zu werden. Auch das erkennt Hannah irgendwann, als sie von einem öffentlich bekannten Journalisten im Café angesprochen wird. Ihr ist es wichtig, diesem interessanten älteren Mann direkt zu zeigen, dass sie keine Kellnerin ist, sondern sich nur hinter diesem Beruf versteckt, sich an ihn klammert, weil ihr sonst keine Chance gegeben wird, sich zu zeigen:
„Ich habe Zeitgeschichte studiert, sagte Hannah, während sie an der Bar hantierte, und wunderte sich über sich selbst, dass sie es nötig fand, dem Mann sofort klarzumachen, dass sie nicht nur Kellnerin war, sondern Akademikerin.“
Der weitere Verlauf der Geschichte ist klar vorgezeichnet, weil ein Klischee bedient wird, in dem leider viel Wahres steckt. Sie will den fremden, mächtigen Journalisten, Herrn Stein, inhaltlich von sich überzeugen – er sucht eigentlich nur das Eine. Vielleicht möchte er auch mehr, genießt ihre unterhaltsame und kluge Gesellschaft als Sahnehäubchen obendrauf. Letzlich kommt Hannah zusammen im Gespräch mit ihrer einzigen Freundin Miriam aber zu dem Schluss, dass „er sich für sie interessierte, als Frau, nicht oder zumindest nicht nur als Kollegin.“
Was sie bisher von Herrn Stein gehalten hat, ist blauäugig gewesen und typisch für ihren Charakter, ihre Art, positiv über die Welt zu denken. Immer viel zu viel zu erhoffen, und letzlich passiv in eine Warteposition zu verfallen, die sie in eine abhängige Situation, vergleichbar mit der einer Gewächshauspflanze, bringt. Als bedürftiges „Pflänzchen“ braucht Hannah jemanden, der sie regelmäßig mit Wasser und Licht versorgt. Bleibt das aus, wird der Boden spröde, die Luft knapp, und die Blätter welken.
Als Herr Stein zu seiner Familie in die Sommerferien fährt, beginnt für Hannah endgültig der Boden zu schwanken, weil ihr einziger energiegeladener Halt in der Großstadt sich als Luftschloss, als ein unwirkliches Gebilde noch nicht erwachsen gewordener, schambehafteter Kleinmädchenträume entpuppt. Aufwachen, möchte man der Protagonistin zurufen, und sie heftig an den Schultern packen. Der ungebremste Fall in die Tiefe ist aber vorprogrammiert, und es ist eine Schwachstelle des Textes, dass gerade die surrealen Szenen weiterhin linear erzählt werden. Ein Bruch mit der Form hätte eine Vielstimmigkeit erzeugt, den gehäuften inhaltlichen Klischees (Berlin = Freiheit, Frau = Kellnerin, mächtiger Mann = mögliches Karrieresprungbrett) eine Tiefendimension verliehen, und die bekannten Motive damit semantisch infrage gestellt. Die Protagonistin wäre interessanter, weil charakterlich vielschichtiger geworden. Aber das ist Geschmackssache, und linear verlaufende Texte sind, man denke an Bodo Kirchhoff, der den Deutschen Buchpreis dieses Jahr gewonnen hat, in Mode, und ja auch irgendwie angenehm, weil gut verständlich.
Das dreißigste Jahr. Unweigerlich muss man an die gleichnamige Erzählung von Ingeborg Bachmann denken, an dieses verflixte Jahr, und an die Stimme am Ende, die sagt: „Steh auf und geh, es ist dir kein Knochen gebrochen“. Bei Friederike Gösweiners Protagonistin kommt sie von innen heraus und drängt darauf, sich wieder in Bewegung zu setzen:
„Zeit zu gehen, dachte Hannah“.
Es ist spannend nicht zu wissen, wohin.
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