Von
Marcus Neuert
Die Frankfurter Lyrikerin, studierte Kulturwissenschaftlerin und Strickkünstlerin Julia Mantel ist in der heimischen Szene als eindrucksvolle Persönlichkeit und widerständige poetische Stimme seit langem bekannt und in Zeitschriften, Anthologien und Internetforen vertreten. Mit „Der Bäcker gibt mir das Brot auch so“ legt sie in der Edition Faust ihren bisher dritten Lyrikband vor, für den sie sich einige Zeit gelassen hat – die beiden anderen erschienen bereits 2008 und 2011 und sind nur noch antiquarisch aufzutreiben, weil ausverkauft. Eine solche Entwicklung ist kein Selbstläufer im bundesdeutschen Lyrikbetrieb des 21. Jahrhunderts und zeugt von einem regen Interesse der Leserschaft an den literarischen Erzeugnissen Mantels. Nun ist Ende Mai nach sieben Jahren die neue Textsammlung der Künstlerin erschienen.
Bei Julia Mantel gewinnt man nicht nur mit der Lektüre, sondern auch dem Anhören und Ansehen ihres Gedichtvortrags (beispielsweise auf youtube) Perspektiven, aus der die Person und das Schaffen zu einer authentischen Einheit zu verschmelzen scheinen: Auftreten und poetische Aussage gehen eine wirkungsvolle Symbiose ein, bedingen sich wechselseitig. Das funktioniert in ihrem Fall nicht über eine hippe Performance wie bei vielen anderen mehr oder weniger überzeugenden Zeitgeistern des literarischen Bühnenbetriebs, sondern durch schlichten, gleichwohl prononcierten Vortrag: Frau, Stimme, Blick, Text. Und schon sitzt der lyrische Stachel genau da, wo er sitzen soll: mitten im Aufmerksamkeitszentrum der Zuschauerschaft.
Mantel ist eine Liebhaberin und Nutzerin der kleinen Form, worauf auch ihre andere künstlerische Aktivität hinweist, das bereits erwähnte Stricken nämlich. Die kleinen, farbigen Shawls und Gürtel aus ihrer handgefertigten Kollektion korrespondieren in ihrem eigenständigen Einfallsreichtum auf erstaunliche Weise mit ihren ganz ähnlich „gestrickten“ oft nur wenige Zeilen langen Gedichten. Beide weben Poesie und Alltagstauglichkeit in eins, thematisieren die gleichermaßen künstlerische wie clevere Verwertungsmöglichkeit:
„ohne titel(seite) // it-girl / knipst nägel / hinter dem / bühnenvorhang / am fenster / bietet / ihre agentin / die halbmonde / im netz / zum feilen / an.“
Hier spricht eine selbstbewusste und gleichzeitig ironisch den Zeitgeist befragende lyrische Stimme, die geschickt Assoziationsketten als attraktive Exponate auszulegen versteht und dem used look ihrer Wörter einen zwischen den Signifikanten der Wohlstandsgesellschaft und der kreativen Improvisation changierenden Sound entlockt, der immer wieder für überraschende Wendungen gut ist:
„under the bridge // meine freundinnen mit / ihren zerzausten haaren / heute abend schlafen wir / unter der brücke als hobby / ich verteile champagner / in plastikbechern, / don’t leave me this way, ich bemühe mich sehr und kaufe auch / wieder klopapier.“
In vielen Texten von Julia Mantel spielt Erotisches eine gewichtige Rolle. Dabei reicht die Palette der Ausdrucksmöglichkeiten von zarter Andeutung bis zum poetisch ausgestalteten Koitus:
„meeresrauschen im nordend // herzmuskelrattern ausser heissem atem / erschöpft auf dem laken / ich komme schließlich / um dich zu holen / in der höhle halte / ich deine finger gefangen / und brate dein fleisch / auf meinem körper […]“
Die Themen, die die Gedichte Julia Mantels ansonsten aufgreifen, sind die zahlreichen losen Enden des großstädtischen Lebens im frühen 21. Jahrhundert. Nichts erscheint gesichert oder gar für ewig, weder Beziehungen noch das materielle Überleben, alles ist zu jedem Zeitpunkt gefährdet, zerbrechlich, vergänglich. Wer jedoch meint, aus einer solchen Erkenntnis heraus ließen sich nur noch weinerliche oder resignierte Verse verfassen, wird durch die Texte von Julia Mantel eines besseren belehrt. Sie artikulieren den Trotz der oft Gestrauchelten und einmal mehr Aufgestandenen, einer Existenz, die sich im Klaren darüber ist, manche gesellschaftlichen Zustände als unabänderlich hinnehmen zu müssen und dennoch innere und äußere Haltung bewahren, ihren Platz im Leben jeden Tag neu verhandeln zu können. Dabei gehen Lebenslust und tiefe Verletzbarkeit stets Hand in Hand:
„wieder ein jahr // verschluckst du / die sonne / weil du angst vor / dem untergang hast / vibriert / mein dirty talk / als handyklingelton / in deiner hosentasche / berühren sich / unsere seelen / weil sie sich schon / so lange kennen / sind wir nicht mehr ganz neu / und doch.“
Dieses „und doch“ scheint bei aller Bitterkeit, die den nicht selten vom Scheitern und seinen Vorstufen dazu erzählenden Gedichten innewohnt, doch an einigen Stellen durch. Mantel hinterlässt ihre Leserschaft nicht hoffnungslos, aber sie beschönigt auch die zahlreichen beobachtbaren privaten und gesellschaftlichen Verwerfungen nicht, hält in ihren Versen an den Ecken und Kanten des vorgefundenen Rohmaterials fest. Ihre Sprache bleibt dem Sound und dem Gefühl des Alltäglichen verhaftet und schafft doch assoziativen Raum wie am Schluss dieses urbanen Heimatgedichts:
„sitzfleisch ffm // ganz langsam / findet sich heimat / und legt sich dir / zu füssen / jahr um jahr / ans herz gewachsen / die bäume, die strassen / die häuser, die menschen / die worte, die fallen, / sagen das richtige.“
Identität ist für Julia Mantel offenbar bei aller Arbeit an sich selbst eben nichts, was man sich ganz und gar alleine vermitteln kann, es gehören Menschen, Orte, äußere Prägungen dazu:
„[…] ich habe den blockflötenblues / nicht erfunden, auch wenn der himmel / heute grau über den dörfern hängt […]“
Dass der Bäcker der Dichterin „das Brot auch so“ gibt, spricht vielleicht auch von der Notwendigkeit, die eigene Empathie, die eigenen Umgangsformen mit den vielfältigen Beziehungen des Lebens zu kultivieren: wir sind eben nie nur die am Typus des homo oeconomicus Orientierten, die zu sein uns die Umstände scheinbar immer wieder verurteilen. Selbstbewusst-poetische Stimmen von Menschen wie Julia Mantel erinnern auf ihre eigene Weise daran.
www.fixpoetry.com/feuilleton/kritik/julia-mantel/der-baecker-gibt-mir-das-brot-auch-so