FRANKFURT & KULTUR: Literatur, Frankfurter Lyrikkollektiv, Städelschule – Frankfurter Milieus & Kunstverein Montez, „Misstory“ – 21.1.2023 (Interview – Julia Mantel, Frankfurter Lyrikerin)
„Wer Freude haben will an der bunten Vielfalt der Schöpfung, der muss an den Männern vorbeisehen“ (Gertrude Stein). Stichworte: Kunst, Literatur, Städelschule, Freundschaft und Vielfalt. Markus Hill sprach für FINANZPLATZ-FRANKFURT-MAIN.DE mit der Frankfurter Lyrikerin Julia Mantel über Themen wie die Leidenschaft für Kunst, Freude an Literatur und auch über das Handstricklabel „Unvermittelbar“. Auch die Freude am derzeit ruhenden Gedankenaustausch mit Gleichgesinnten (Frankfurter Lyrikkollektiv: „Salon Fluchtentier“) sowie die Vorgeschichte zur Veranstaltung „Misstory“ (Frankfurt, 21.1.2023, Kunstverein Montez) wurden angesprochen.
Hill: Warum lieben Sie Kunst und Literatur?
Mantel: Ich liebe Bildende Kunst und Literatur schon seit meiner frühen Kindheit. In meinem Elternhaus hingen ein paar Bilder an der Wand, meist von befreundeten Künstler*innen aus der Region, darunter aber auch zum Beispiel eine „echte“ Käthe Kollwitz, die mich fasziniert haben. Geprägt wurde ich zum Beispiel auch von unserem Postboten, der in seiner Freizeit sehr ambitioniert malte und zeichnete. Ausserdem stand im Keller meines Elternhauses eine große Bibliothek, zu der ich immer Zugang hatte. Als ich noch nicht lesen konnte, wurde mir dankenswerterweise immer vorgelesen. Dieses abendliche Ritual schloß den Tag ab und beruhigte meinen bevorstehenden Schlaf. In der nahegelegenen Kreisstadt Hofheim gab es zudem eine idyllische Kinder- und Jugendbibliothek zu der ich sehr oft nachmittags dackelte, die ich aber nach wenigen Jahren schon komplett „ausgelesen“ hatte. Meine Lieblingsbücher las ich sowieso doppelt. Daran hat sich bis heute nichts geändert. An Weihnachten lagen dann vor allem Bücher unter dem Weihnachtsbaum. So konnte ich mich innerlich auf ein Leben nach dem Vorort einrichten.
Kunst hat schon immer meine Seele gewärmt, mich inspiriert und sie gab mir eine Art Zugehörigkeit. Genauso fand ich Trost und Kontemplation beim Bücherlesen. Ich hatte die Möglichkeit, mich in verschiedene Welten zu bewegen, obwohl ich mich physisch nicht bewegte. U.a. wurde meine Empathie gestärkt, da ich Einblicke in andere Schicksale erhielt.
Hill: Wie sind Sie auf diese „Schiene“ geraten?
Mantel: Die Beschäftigung mit Bildender Kunst und Literatur hörte einfach nie auf, sondern wurde immer intensiver. Nach dem Abitur im Vordertaunus zog es mich zu dem Studium der „Angewandten Kulturwissenschaften“ in Lüneburg, ursprünglich mit dem Vorhaben, Kuratorin zu werden. Mein zweites, jedoch sehr kurzweiliges Standbein, als Model, schulte meinen Blick für Farben und modische Strömungen. So entstand 2005 mein Handstricklabel: „Unvermittelbar“ www.unvermittelbar.de Auf dieser Web-Page bringe ich, von Punk geprägt, meine Lyrik und den modischen Handstrick zusammen. Geschrieben habe ich aber schon immer, wenn auch früher eher (musik)journalistisch. Nach einer abrupten Trennung, die mit Faxen begann und aufhörte, da es (für uns heute unvorstellbarerweise) noch kein flächendeckendes Internet gab, bin ich beim Aufschreiben meiner Worte geblieben und daraus formierte sich nach Teilnahme in diversen Literaturwerkstätten (Frankfurt, Darmstadt, München, Venedig), ersten Publikationen etc. und der langsamen Vernetzung mit der überregionalen Lyrik-Szene, so etwas wie ein Berufsbild: Ich bin jetzt Lyrikerin und Strickkünstlerin und habe u.a. 4 Gedichtbände publiziert, den (momentan ruhenden) Salon Fluchtentier (ein Frankfurter Lyrikkollektiv) mit ins Leben gerufen und arbeite seit Anfang der Pandemie als Vize-Vorsitzende des Hessischen Schriftstellerverband (VS). Aus meinem letzten Lyrik Band „Wenn Du eigentlich denkst, die Karibik steht Dir zu“ (2021/ Edition Faust) werde ich auf der Vernissage lesen, dazu noch Unveröffentlichtes. Es wird auch einen Büchertisch geben.
Hill: Sie begleiten die Veranstaltung „Misstory“ am 21. Januar 2023. Wie ist die Idee hierzu entstanden?
Mantel: Julia Jansen, Bettina Sellmann und ich kennen uns schon seit den frühen Neunzigern. Damals studierten die beiden gemeinsam Malerei an der Frankfurter Städelschule, in deren Umfeld ich mich bewegte. Obwohl es uns anschließend autonom voneinander nach New York, Paris, Hamburg, Chicago, London, Köln etc., zumindest für eine Zeit lang, verschlug, nahmen wir die (durchaus erfolgreichen) Arbeiten der anderen immer sehr wohlwollend wahr. Im Dezember 2021 hatten wir dann eine gemeinsame Trio-Ausstellung im Offenbacher Kunstverein und wollen seitdem langfristig zusammenarbeiten. Daraus entstand im Jahr 2022 der Kunstkatalog „Easymagic123“ in der renommierten Edition Faust. Darin beziehen sich unsere Arbeiten aufeinander. Es handelt sich also um eine Mischung aus zwei Malerei-Positionen und meiner Lyrik-Handstrick-Kombination. Das Kulturamt Frankfurt gab uns dankenswerter Weise noch etwas Geld für eine anschliessende Ausstellung. Zu dieser rein weiblichen Ausstellung passen, wie wir finden, auch noch sehr gut Corinna Mayer und Caroline Krause, deren Arbeiten und Persönlichkeiten ich wiederum aus meiner langjährigen Arbeit in der Ausstellungshalle 1a/ Sachsenhausen kenne. Dort sind mir beide sehr positiv aufgefallen. Beide sind umtriebige starke Frankfurter Kunstpersönlichkeiten und unsere Energien könnten sich so vermehren. Caroline Krause nahm an der ersten Ausstellung, die ich in der Schulstraße 1a betreute, teil, daraufhin verfolgte ich kontinuierlich ihren Werdegang. Und schon vor Jahren habe ich mir zum Beispiel eine gerahmte Zeichnung von Corinna Mayer gekauft, die seitdem mein Wohnzimmer verschönert. Hortense Pisano, eine befreundete Frankfurter Kunstkritikerin und Kuratorin, kennt meine Gedichte seit der ersten Stunde und hat deren Weg immer verfolgt. Ausserdem hat sie schon mehrfach über meine Lyrik und meinen Handstrick geschrieben und sie auch schon in Ausstellungen (von mir) eingeführt.
Hill: Woher kennen Sie die Künstlerinnen, was begeistert Sie an Ihren Kolleginnen?
Mantel: Jede der Künstlerinnen hat einen komplett autonomen künstlerischen Ausdruck und kämpft als Frau in einem eher traditionell männlich besetzten Kulturbetrieb. Wir versuchen eine weibliche künstlerische Formsprache zu finden. Diese Sprache ist eben nicht (mehr) stumm, sondern wirft in ihrer Eigenwilligkeit viele Fragen auf. Unsere Arbeiten ergänzen sich alle sehr gut untereinander bzw. korrespondieren ja teilweise schon lange miteinander. Auch Corinna Mayer und Caroline Krause haben an den Frankfurter Städelschule studiert und sind seid vielen, vielen Jahren künstlerisch aktiv.
Hill: Warum ist Frankfurt als Veranstaltungsort so toll?
Mantel: Frankfurt ist als Lieblingsstadt ein absoluter Geheimtipp: Die gesammelte Gesellschaft in aller ihrer Schönheit und auch Problematik als Mikrokosmos spielt sich in dieser Metropole ab. Man kann eigentlich gar nicht anders, als auf sie zu reagieren und sich mit der eigenen künstlerischen Stimme zu positionieren. Die Stadt hält viele verschiedene Milieus bereit. Wunderbar ist es, wenn diese sich mischen und bestenfalls voneinander lernen. Niemand bildet sich großartig etwas darauf ein, aus Frankfurt zu kommen. Wir gucken nach draußen und sind dabei kosmopolitisch inspiriert.
Hill: Vielen Dank für das Gespräch und Ihnen noch eine erfolgreiche Veranstaltung in Frankfurt.
Ankündigung „Misstory“
Wie schon der Titel „Misstory“ vermuten lässt, handelt es bei der Gruppenausstellung der Malerinnen Caroline Krause, Corinna Mayer, Julia Jansen, Bettina Sellmann und der Strickkünstlerin/ Lyrikerin Julia Mantel um eine rein weibliche Angelegenheit.
Soviel Jahrtausende hatten wir es in der (Kunst)Geschichte mit einer, in der englischen Übersetzung „his-story“, also mit einer von (in der Öffentlichkeit) Männer dominierten Sphäre zu tun. Es ist an der Zeit die Geschichtsschreibung umzuwandeln als eine eindeutig weiblich konnotierte. Dafür haben sich hier 4 Ex-Städelstudentinnen und eine Kulturwissenschaftlerin zusammengefunden und zeigen ihre autonomen zeitgenössischen Positionen. Julia Mantel wird dazu einmal mehr ihre (teils feministischen) Gedichte vortragen.
Alle teilnehmenden Künstlerinnen haben eine Verwurzelung in Frankfurt am Main bzw. lag zumindest dort eine Zeit lang ihr Lebensmittelpunkt. Bettina Sellmann und Julia Jansen, die es, nach Beendigung ihres Studiums und diversen Auslandsaufenthalten, schliesslich nach Berlin und in die Nähe von Köln zog, stellen dennoch weiterhin seit Jahren kontinuierlich in der Finanzmetropole, ihrer alten Heimat, aus.
Julia Jansen, Bettina Sellmann und Julia Mantel haben sich seit letztem Jahr unter dem Label „Easymagic123“ zusammengeschlossen und werden am Ende der „misstory“-Ausstellung zur Finissage ihren Kunstkatalog präsentieren. Hier gilt ein besonderer Dank den Corona bedingten Neustart-Kultur-Stipendien und der Großzügigkeit des Kulturamtes der Stadt Frankfurt.
Vernissage:
Kunstverein Montez
21. Januar 18h
Ansprache: Mirek Macke
Einführung: Hortense Pisano
Gedichtvortrag: Julia Mantel
Musikalische Begleitung: DJ Core
Ausstellung vom 21. 01.1023- 19.02.2023
Öffnungszeiten: von Di-So 13-18:00
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