Lyrik leben III- Gespräche und Beobachtungen über Poesie von Dinçer Güçyeter
“ICH HALTE LYRIK FÜR DIE LITERATURGATTUNG DER STUNDE!”
In der dritten Ausgabe unserer Lyrik-Reihe spricht Dinçer Güçyeter, Kopf und Herz des ELIF Verlags und Peter-Huchel-Preisträger 2022, mit der Lyrikerin und Kulturwissenschaftlerin Julia Mantel über die verschlungenen Wege, die sie zur Poesie führten, über das Leiden im Erreichen und das Vertrauen in den eigenen Sprachfluss.
Dinçer Güçyeter: Liebe Julia, wenn ich in deine Lebensgeschichte eintauche, sehe ich große Wellen. Du hast nach deinem Studium der Kulturwissenschaften als Modell gearbeitet. Wie kam es dazu?
Julia Mantel: Eine kurze Zeit habe ich tatsächlich gemodelt, aber ich war dabei nicht sonderlich ambitioniert. Mehr oder weniger als Gag hatte ich nach dem Abi bei einem Model-Wettbewerb mitgemacht und dann gab es eben ein paar Folgeaufträge. Insgesamt kann ich es aber nicht weiterempfehlen. Es ist eine Branche, die meiner Meinung nach, niemandem guttut. Da es so ein oberflächiges, um nicht zu sagen relativ leeres Milieu ist, besteht extrem die Gefahr, sich sehr darin zu verlieren. In dieser (kurzen) Zeit hatte ich mich total von mir selber entfernt. (Ich habe damals auch noch keine Gedichte geschrieben, zum Beispiel.)
Wurde dir dein Job als Model zum Verhängnis? Hattest du das Gefühl, du wirst deswegen als Lyrikerin nicht ernst genommen?
Wie gesagt, war meine Zeit als Model mehr als kurz. Und 2008, als ich meinen ersten Band „new poems“ bei Julietta Fix herausbrachte, hatte ich diese Zeit schon lange hinter mir gelassen.
Julietta Fix hatte mich auch noch nie Face-to-Face gesehen, als sie mich fragte, diesen ersten Band mit ihr zu machen, wir hatten lediglich ein paar Mal telefoniert: Meine Gedichte scheinen also (auch ohne Foto von mir) für sich gesprochen zu haben.
Du bist auch im Bereich “Bildende Künste“ sehr aktiv, was bewegt dich dazu. Fließt deine Lyrik auch in diesen Bereich, kann man auch von einer interdisziplinären Arbeit sprechen?
Ja, man kann tatsächlich von einer interdisziplinären Arbeit sprechen. In meinem Studium der „Angewandten Kulturwissenschaften“in Lüneburg habe ich mich ja hauptsächlich mit Bildender Kunst beschäftigt und plante ursprünglich, Kuratorin zu werden. Mein Interesse ist geblieben, der Austausch mit den Bildenden Künstler*innen auch und irgendwann habe ich dann eben selbst mein Strickzeug in die Hand genommen und bin auf diesem Wege zur Strickkünstlerin geworden. Gerade sitze ich an einem sehr hochwertigen Katalog mit den Malerinnen Bettina Sellmann und Julia Jansen. Darin nehmen unsere Arbeiten aufeinander Bezug. Ich steuere Handstrick und Lyrik bei.
Dein erster Gedichtband “new poems“ ist 2008 erschienen, mit “Wenn Du eigentlich denkst, die Karibik steht Dir“ legst du deinen vierten Gedichtband vor. Was für eine Reise war das und wohin will Julia Mantel mit ihrer Lyrik?
Oh, diese Reise ging sogar relativ schnell um! Generell habe ich in diesen Jahren an meinen Worten, deren Inhalt und an meinem Tonfall gearbeitet. Das Leben und die Informationen prasseln nach wie vor auf mich ein und ab und so schaffe ich es, mich zu konzentrieren, innezuhalten und dann entsteht daraus ein Gedicht. Mein Tonfall hat sich über die Jahre verändert bzw. erweitert und ich glaube und hoffe, er wird immer komplexer.
In deinem Gedicht “schraube ohne fleckensalz” beschreibst du “das Erreichen“ auch als “Leiden“, Was hat Julia Mantel in der Branche am meisten bedrückt?
Ich leide ja gar nicht, hahahaha! Gut, das ist ein bisschen kokett, so etwas zu behaupten: In dem Gedicht „Schraube ohne Fleckensalz“ sind es ja die anderen, die darunter leiden, alles erreicht zu haben und dem aber noch etwas draufsetzen wollen. Solche Menschen kenne ich viele (und die heulen sich dann regelmäßig bei mir aus …) Generell finde ich es nicht die richtige Entwicklung, dass die Menschen noch toller und noch toller werden (sollen). Dann doch lieber ab und zu eine ruhige Teestunde, in der man sich liebe Worte sagt. In der Lyrikbranche oder -szene ist es wie überall: Man trifft auf coole, uneitele Menschen, denen es um die Sache geht und dann eben auch noch auf den ganzen anderen Rest.
In deinen Gedichten lesen wir auch über viele Figuren wie z.B. Handwerker, Bäcker, Fabrikarbeiter. Die Realität der Arbeitswelt, der Arbeiter*innen ist dir sehr nah. Hat es damit zu tun, weil du auch nichts geschenkt bekommen hast?
Keine Ahnung, ob ich nichts geschenkt bekommen habe: Bisher sind ja die Verlage immer auf mich zugekommen, das empfinde ich als großes Privileg und eben schon auch als Geschenk! Ich halte die Arbeiter*innnen so hoch, weil sie vom Aussterben bedroht sind und weil ohne sie gar nichts mehr laufen würde.
Wenn ich unseren Lebensrhythmus beobachte, müsste die Lyrik das populärste Genre in der gegenwärtigen Literatur sein. Wo liegt nach deiner Ansicht die Barrikade, was hält Lyrik auf, ein größeres Publikum zu erreichen?
Ich halte Lyrik auch tatsächlich für die Literaturgattung der Stunde! Es liegt an uns Lyriker*innen, dieses Genre beliebter zu machen. Wir müssen unsere Gedichte einfach unter die Leute bringen, zum Beispiel dadurch, dass wir für sie brennen. Je bekannter wir werden, desto mehr Öffentlichkeit erhalten wir auch in den Mainstream-Medien und desto selbstverständlicher wird es, sich für zeitgenössische Lyrik zu interessieren und welche zu lesen. Es sollte hip werden, zu Geburtstagen und anderen Feierlichkeiten vermehrt Gedichte zu verschenken und regelmäßig auf Lyrik-Veranstaltungen zu gehen. Schüler*innen sollten sich darauf freuen, sie im Unterricht zu lesen und zu interpretieren. Zeitgenössische Poeme sollten zur Allgemeinbildung gehören.
Hat man dir schon mal vorgeworfen, dass deine Lyrik ungeschliffen ist? Wenn ja, ist es eine bewusste Entscheidung, wie viel Kontrolle hast du über deine Texte und wer liest nach deiner Wahrnehmung die Gedichte von Julia Mantel?
Meistens lasse ich alles fließen. Man muss beim Schreiben den Punkt erreichen, dass man sich in die Sprache und den Sprachfluss fallen lassen kann. Irgendwann vertraut man auch immer selbstverständlicher darauf. Meine Gedichte sind nicht wirklich ungeschliffen: bevor sie veröffentlicht werden, wird ja zum Beispiel ein paar Mal auf sie drauf geguckt.
Meine Gedichte sind tatsächlich bei Frauen sehr beliebt, da ich ja auch immer wieder einen sehr feministischen Ton anschlage.
Hattest Du Vorbilder, Lyriker*innen, die Dich begeistert haben?
Mein erster umfassenderer Kontakt zur Lyrik war ein Buch, das mir meine Mutter zu meinem 16. Geburtstag geschenkt hatte: Es handelte sich damals um die Gesammelten Werke von Else Lasker-Schüler. Davon war ich wirklich ziemlich geflasht. Auch ihre Lebensgeschichte hat mich ziemlich umgehauen, als ich mich begann für sie zu interessieren. Allerdings habe ich zu dieser Zeit das Leben dieser Ausnahme-Lyrikerin ziemlich romantisiert: Ihre Beziehung zu Gottfried Benn usw. Sicherlich hat sie in Wahrheit ein super anstrengendes Leben geführt: Sie war ja zum Beispiel chronisch pleite und verarmt, wie in ihren vielen Briefen unschwer nachzulesen ist. Das überstieg als0 doch sehr den Horizont der behüteten Teenagerin aus gutbürgerlichem Hause Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger.
Möchtest du noch den yourbookshop-Leser*innen was sagen?
Wenn man den Wunsch verspürt, sich lyrisch auszudrücken, dann sollte man einfach diesem Impuls folgen und an der Sprache dranbleiben. Sich mit Lyrik zu beschäftigen und welche zu schreiben, macht das Leben definitiv um ein Vielfaches reicher …
Liebe Julia, herzlichen Dank für das Gespräch.