„Wir holen die ganz tolle junge Lyrikszene nach Frankfurt“

von Claus-Jürgen Göpfert

Die Literaturbeauftragte Sonja Vandenrath spricht über den heute beginnenden Festivalkongress.

Am heutigen Donnerstag beginnt in Frankfurt der Festivalkongress „Fokus Lyrik“: Die junge deutsche Poesieszene präsentiert sich in der Stadt. Politiker, Buchhändler, Verleger kommen dazu und diskutieren darüber, wie die Lyrik mehr Resonanz und Unterstützung bekommen kann.

Frau Vandenrath, die Lyrik hat es nicht leicht in Deutschland. Die Bücher, die erscheinen, besitzen oft nur eine kleine Auflage. Was kann da der Festivalkongress, den Frankfurt zum ersten Mal veranstaltet, bewirken?

Wir veranstalten den Festivalkongress, weil wir den großen Scheinwerfer auf die Lyrik richten wollen. Da ist in den vergangenen zwanzig Jahren sehr viel passiert. Die interessantesten literarischen Entwicklungen spielen sich in der Lyrik ab. Leider hat sie noch lange nicht die öffentliche Aufmerksamkeit, die sie verdient. Das wollen wir ändern. Der zweite Aspekt: Wir holen die ganz tolle junge Lyrikszene nach Frankfurt und lassen sie darüber diskutieren, was wir tun können, damit sie mehr Resonanz und Unterstützung erhält.

Der Präsident der Akademie für Sprache und Dichtung, Ernst Osterkamp, erhofft sich, dass ein Aufbruch für die Lyrikszene von Frankfurt ausgeht.

Das hoffen wir auch. Wir wollen die Akteure der Szene zusammenführen und ins Gespräch mit denjenigen bringen, die die Rahmenbedingungen gestalten. Es wird ein Treffen des deutschsprachigen Lyrikbetriebs mit Gästen aus der ganzen Welt sein.

Es gibt thematische Podien. Bei einem geht es darum, was in den Verlagen getan werden kann, um Lyrik stärker in den Fokus zu bekommen. Wir haben hier in Frankfurt am Main ja einen Verlag wie Schöffling, der sich seit Jahren sehr engagiert für Poesie einsetzt. Was könnte man noch mehr tun?

Wir haben den Kongress aus zwei Teilen zusammengebaut, einem diskursiven und einem performativen, deshalb haben wir ihn auch Festivalkongress genannt. Tagsüber gibt es Diskussionen, abends bringen wir dann die Dichterinnen und Dichter auf die Bühne. Auf dem Kongress kommt die Lyrikszene ins Gespräch mit Politik, Buchhandel, Verlagen, Medien, Veranstaltern und Förderern, aber auch mit Repräsentanten aus Schulen und Universitäten. Es geht uns um eine größere Verankerung der Gegenwartslyrik in wichtigen gesellschaftlichen Bereichen. Aber auch um mehr Förderung, beispielsweise wird ein Vertreter des Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, Oliver Schenk, kommen, damit er über den neuesten Stand des vom Bund geplanten Preises für Verlage berichten kann.

Es gab im Vorfeld öffentliche Kritik an der Veranstaltung. Es wurde von Geldverschwendung gesprochen. Es wurde behauptet, die Stadt gibt eine Viertelmillion Euro aus. Trifft das zu?

Nein. 80 Prozent der Summe, die der Kongress kostet, bezahlt der Bund. Die Bundeskulturstiftung hatte ein großes Interesse daran, dass dieser Kongress nicht wie üblich in Berlin stattfindet, sondern in der Literatur- und Buchstadt Frankfurt am Main. Der Anteil der Stadt beträgt 20 Prozent. Dafür bekommen wir ein Ereignis, das weit über die Stadt hinausstrahlt.

Wie kam es dazu, dass nicht Berlin, sondern Frankfurt diesen Kongress ausrichtet?

Ich gehöre zu einem informellen Netzwerk der deutschen Lyrik-Veranstalterinnen und -Veranstalter. Da haben wir gegrübelt, wie man der Lyrikszene einen Schub geben kann, der sie durch die nächsten Jahre trägt. Und ich habe darum gebeten, so etwas in Frankfurt zu veranstalten. Denn wir sind wirklich stolz darauf, dass wir die Buchmesse, den Börsenverein des Deutschen Buchhandels und die Deutsche Nationalbibliothek hier haben. Frankfurt ist eine große Literaturstadt. Und hier ist dieser Kongress richtig angesiedelt. Frankfurt besitzt aber auch eine große literarische Tradition, die von Goethe bis zum künftigen Romantik-Museum reicht. Und daher ist dieser Kongress hier richtig angesiedelt.

Es ist zum ersten Mal, dass Geld von der Bundesebene kommt.

Wir sind schon mal für Litera-Turm, das Frankfurter Literaturfestival, von der Kulturstiftung des Bundes gefördert worden. Die Kulturstiftung des Bundes kann nur fördern, wenn es einen Eigenanteil von 20 Prozent gibt und eine bestimmte Mindestförderhöhe erfüllt ist. Daran scheitern leider viele kleine Veranstalter. Die Stadt hat jetzt in den Etat der Frankfurter Lyriktage investiert, um dieses Großereignis nach Frankfurt zu holen.

Wie viel Geld gibt die Kommune aus?

50 000 Euro. Das ist das Budget für die Frankfurter Lyriktage, die wir in diesem Jahr dann aussetzen.

Im Rahmen des Kongresses gibt es das Aufeinandertreffen von Kunst und Lyrik im Museum für Moderne Kunst. Was versprechen Sie sich davon?

Die Lyrik bewegt sich zwischen den Künsten. Sie besitzt eine starke Affinität zur Musik, sie erzeugt auch ganz prägnante Bilder. Das wollen wir eben auch zeigen. Deshalb wollen wir ganz bewusst interdisziplinär arbeiten und Lyrik nicht nur als stille Wasserglaslesung präsentieren, sondern in der Begegnung mit den anderen Künsten. Eines der großen Abendereignisse wird deshalb die Dichterlesung im Museum für Moderne Kunst sein. Die Menschen gehen durch das Haus, betrachten die Kunstwerke und lauschen auf ihren Kopfhörern den Stimmen der vier Dichterinnen und Dichter, die live lesen.

Das Ganze geschieht vor dem Hintergrund der Ausstellung von Cady Noland, der kritischen US-Gegenwartskünstlerin …

…das ist richtig. So entsteht eine Auseinandersetzung von Kunst und Lyrik.

Sie erweitern das Blickfeld aber auch über Deutschland hinaus. Es wird sieben fiktive Reisen geben zur Lyrik in europäischen Ländern, von Reykjavik bis Malta.

Das ist uns ganz wichtig. Deshalb findet auch die Premierenlesung der Anthologie „Grand Tour. Reisen durch die junge Lyrik Europas“ bei uns statt. Sie wurde von Jan Wagner mit herausgegeben, der 2003 mit der Anthologie „Lyrik von Jetzt“ die neue deutsche Lyrik einer staunenden Öffentlichkeit präsentierte. Mit der Lesung aus der „Grand Tour“ erweitern wir den Fokus auf den europäischen Raum.

Jan Wagner ist ja auch Träger des Büchner-Preises, der wichtigsten deutschen Literaturauszeichnung. Das ist doch auch eine Ermutigung für die Lyrik.

Das ist tatsächlich so. Die Lyrik wird vor allem im Feuilleton mehr wahrgenommen als früher. Und es gibt eine sehr aktive Szene, auch hier in Frankfurt mit dem Salon Fluchtentier. Die entwickeln mit großem Idealismus weiter, was die erste Generation begonnen hat. Salon Fluchtentier ist eine von den jungen Initiativen: Millennials, die Gedichte schreiben, treffen sich in Bars und Clubs und präsentieren ihre Gedichte in Live-Performances. Das ist sehr debattierfreudig, man hört sich zu, tauscht sich aus. Das alles besitzt viel subkulturellen Charme.

Wo kann man Salon Fluchtentier treffen?

Bei unserem Kongress machen wir einen Abend mit ihnen im Frankfurter Salon an der Braubachstraße. Dort herrscht die kultige Atmosphäre, die so typisch ab dem Jahr 2000 ist.

Was könnte Frankfurt denn tun, um eine Förderung der Lyrikszene auch langfristig zu etablieren?

Wir möchten jetzt über Fördermodelle sprechen. Wir sind uns nicht sicher, ob die traditionellen Modelle wie Preise und Stipendien noch angemessen sind. Der Kongress will am Ende ein Positionspapier formulieren, das Forderungen umfasst. Es soll nach diesem Ereignis weitergehen, wir wollen nur den Startschuss geben.

Und es soll ein Preis verliehen werden.

Wir wissen nicht, ob es tatsächlich dazu kommt. Es sind jedenfalls fünf Gedichtbände nominiert und es wird dann am Freitag, 8. März, von 10 bis 18 Uhr eine öffentliche Jurysitzung im Haus am Dom geben, an der jeder teilnehmen kann. Es gibt ja viel Kritik an Lyrikpreisen: Es werde immer nur Prominenz ausgezeichnet, die Auswahlverfahren seien nicht transparent und auch die Kriterien nicht. Deshalb laden wir alle Interessierten dazu, selbst zu erleben, wie Jurysitzungen ablaufen. Und es gilt: Der Ausgang ist offen.

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