Satzbaumeisterin Julia
Julia Mantel „Auch Künstler werfen etwas Wertvolles in den Topf der Gesellschaft.“
Satzbaumeisterin Julia
Die Frankfurter Dichterin Julia Mantel las in der Berliner Tucholsky Buchhandlung aus ihrem neuen Band „Der Bäcker gibt mir das Brot auch so“
Die Lyrikerin Julia Mantel ist so komplett wie ein Anker-Steinbaukasten im Spielzeugmuseum. Das Publikum staunt in der Tucholsky Buchhandlung. Es ächzt in der Hitze eines Berliner Sommerabends und fächert sich Luft zu. Alle sind gekommen, Katja Kullmann, Martin Wimmer, Stefan Eastend Müller, Sebastian Zabel. Rolling Stone Kritiker Zabel stellt Mantel vor. Der Frankfurter Hauptstadtbeauftragte Wimmer hat das Nachwort zu Mantels akuter Veröffentlichung geschrieben. Er prägte das Wort vom „Mantel-Ton“. Der ist unüberhörbar. Mantel liest wie sie schreibt: konzentriert, konkret. Sie baut ihren Gedichten eine Umgebung im Gespräch. Die Rahmenhandlungen sind druckfertige Erzählungen. Ich langweile mich in keinem Augenblick. Ich muss auch keine Rätsel lösen. Mantel schreibt gegenständlich. Sie trifft ihre Punkte. Der lyrische Kosmos wächst aus der Kritik heraus, dass manche zu viel und viele zu wenig haben.
„Wir leben in einem deutschen Thatcherismus. Die Armut hat den Mittelstand erreicht. Eine Hartz-IV-Empfängerin kann sich noch nicht einmal die Pille danach leisten.“
Man soll in Schönheit sterben, aber bis dahin jede Rechnung bezahlt haben. Das wird massiv verhandelt, als autobiografischer Notstand. Dass man erst verrecken muss, bevor eine Straße nach einem benannt wird. Es steckt viel Hoffnung in der Vermutung, die Prägestöcke für Münzen der Anerkennung verstaubten vorsorglich in einer Nachwelt.
…
es gibt eine liebe, die nichts bringen muss
lass mich in diesem leben nicht mehr allein.
Mantel wurde in Frankfurt geboren und kam da im Jahr 2000 noch einmal als Dichterin zur Welt. Davor war sie dieses und jenes und hier und da wie zum Beispiel in Lüneburg gewesen. Danach zeigte sie sich in ihrer Gestalt. Mantel erscheint als Salonlöwin. Sie betont ihre Autonomie in den Herstellungsprozessen; den geringen Produktionsaufwand. - Die Strenge des Werks bei gleichzeitiger Freude am Spiel mit den Konnotationen.
„Eine Band in Gang zu halten, ist viel anstrengender.“
Mantel stellt fest:
„Auch Künstler werfen etwas Wertvolles in den Topf der Gesellschaft.“
Sie bedenkt die Nähe von Magen und Möse.
Sie bemerkt:
„ich lächle mein vogue lächeln und du fühlst dich verführt.“
Das sind Verse wie Kommentare. Besonders gern gelesen werden sie von Leuten, die, so skizziert es Mantel, in den Neunzigern Spex gelesen, die Hamburger Schule zum Beweis ihrer Kennerschaft herangezogen und für Charlotte Roche gearbeitet haben. Der Typus franst jetzt „zwischen Hamsterrad und Schneckenhaus“ aus und performt den rüstigen Greis. Oder um es anders zu bemänteln:
eine vergessene jugendliebe rutscht mir
aus dem karton und ein paar minuten
später über den buckel.
wenn ich dabei zu laut war, tut es mir leid im nachhinein.
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