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Wenn das Stricken zur Berufung wird
Frankfurterin wollte sich das Rauchen abgewöhnen und blieb an den Nadeln hängen / Schals und Gürtel sind Unikate
Maschen als Masche: die 33-jährige Julia Mantel strickt und strickt.dpa
Vom 16.02.2008
Von
Petra Knobel
FRANKFURT Wenn Menschen sich das Rauchen abgewöhnen wollen, begeben sie sich mitunter auf die Suche nach Ablenkungsmethoden oder Ersatzdrogen. Manche treiben Sport, andere stopfen Süßigkeiten in sich hinein. Julia Mantel (33) versuchte es mit Stricken. “In meiner Familie hat niemand gestrickt, ich bin diesbezüglich also gar nicht vorbelastet. Ich wollte einfach mit dem Rauchen aufhören und habe deshalb angefangen, Schals, Gürtel und Krawatten zu stricken”, erinnert sich die Frankfurterin. Sehr schnell habe sich die vor fünf Jahren entdeckte Leidenschaft verselbstständigt. Freunde und Freunde von Freunden kauften ihr die ersten Schals ab, inzwischen verkauft Mantel ihre Strickwaren für Preise zwischen 15 bis 150 Euro und raucht nach wie vor.
Die junge Frau verwendet ausschließlich hochwertige Wolle, die sie aus Frankfurter Läden oder dem Internet bezieht. Sie betont: “Jedes Teil ist ein Unikat. Ich stricke auch auf den Leib, wenn Leute zu mir kommen und bestimmte Wünsche und Vorstellungen haben.” So habe beispielsweise eine Kundin fünf Schals als Mitbringsel für ein Geschäftsessen bestellt und über jede der zu Beschenkenden etwas erzählt. Nach diesen Schilderungen fertigte Mantel dann fünf ganz unterschiedliche Schals an. Das war nicht ganz billig: “Meine Einzelteile verkaufe ich für faires Geld, ich sehe mich als Künstlerin. In China werden Schals unglaublich billig hergestellt, dem will ich etwas entgegen setzen.”
Jeden neuen Schal sieht die 33-Jährige als Experiment, bei dem sie Farben, Längen und das Material immer variiert. Ob Seidenschals oder Teile aus Schurwolle, ob schmal und als Halsband zu tragen oder in Dunkelblau mit Silberrand für die Herren: Es gibt nichts, was es nicht gibt. Auch Teile aus Elasthan sind bereits entstanden, und demnächst stehen Versuche mit Mullbinden und Leinen an. Aus Stoffresten will Mantel außerdem Schaltücher anfertigen. Auf Schals, Krawatten und Gürtel beschränkt sie sich, weil sie lediglich “eindimensional stricken” kann. “Pullover, Jacken oder gar Kleider müssten zusätzlich zusammengenäht werden, das wäre viel zu teuer.”
Obwohl sie im Jahr 2006 auf der Frankfurter Messe Tendence Lifetsyle mit einem kleinen Stand vertreten war, möchte sie eigentlich lieber ein Geheimtipp bleiben. Über ihre Internetseite oder schlicht Mundpropaganda sollen die Leute sie finden und so zu ihrem ganz eigenen Unikat aus der “Unvermittelbar”-Kollektion kommen. “Ich möchte gerne privat verkaufen und auf Anfrage stricken. Die Preise richten sich auch dann nach Arbeitsaufwand, Material und Länge des Produkts”, erklärt die Künstlerin, die auch mit einer Strickmaschine arbeitet. “Unvermittelbar” nennt die Künstlerin ihre Kollektion, weil sie das Gefühl habe, in der Arbeitswelt keinen Platz zu haben. Entsprechend gut gefällt der 33-Jährigen, dass ihr schicker Strick bei vielen Leuten gut ankommt.
Inzwischen ist Julia Mantel vom Stricken regelrecht besessen, ebenso wie von einer weiteren “Aussenseiterkunstform”, wie sie es nennt: der Lyrik. Wer sich auf ihrer Internetseite nach Strickwaren umsieht, stößt auch auf ihre Gedichte. Beides gehört für die 33-Jährige untrennbar zusammen: “Ich kann nicht ausschließlich nur stricken oder schreiben, ich bin von beidem besessen.”