STARSTRICK/STARSTRUCK
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Der Strick-Kick
Von Katja Hofmann, London
Yoga und Prozac sind out: Immer mehr Hollywoodstars greifen zur Stricknadel. Mit der neuen Sucht haben sie längst auch ihre Fans angesteckt. Mittlerweile grassiert das Virus bereits in Großbritannien.
London - Was haben Stars wie Sarah Jessica Parker, Uma Thurman, Julia Roberts, Geri Halliwell, Madonna und Catherine Zeta-Jones gemeinsam? All diese Leinwand-, Mattscheiben- und Pop-Ikonen hängen an der Nadel, der Stricknadel, um genauer zu sein.
Sei es nun am Filmset, vor einer Premiere oder einfach nur so zwischendurch, in Hollywood wird gestrickt, was der Faden hält. Rund um den Sunset Boulevard sprießen Wollläden wie Starbuck-Cafés aus dem Boden. Für die überkoffeinierten Bewohnerinnen von L.A. steht fest: Yoga und Prozac sind out - der Pfad zum inneren Frieden führt (vorbei an den Paparazzi) über die Stricknadel.
Nicht dass es nicht schon früher Strickfans in Hollywood gegeben hätte. In den dreißiger Jahren soll hier der berühmt-berüchtigte “Knitting Circle” sein Unwesen getrieben haben, dem angeblich Greta Garbo, Marlene Dietrich, Joan Crawford und Barbara Standwyck angehörten. Ob in diesem illustren Kreis jedoch wirklich gestrickt wurde, ist zweifelhaft. Den Mitgliedern des vermeintlichen Strickklubs wurde vielmehr nachgesagt, dass es sich hier nicht so sehr um Zwei-Rechts-Eins-Links als um homoerotische Liebe drehte.
Doch die Zeiten haben sich geändert. Hollywoods vornehmster Strickladen, die Knitterie Parisienne, klingt zwar immer noch recht verführerisch, aber wüste Ausschweifungen braucht hier niemand zu vermuten. Hier wird züchtig gestrickt und was die Sinnlichkeit angeht, ist Cashmere-Wolle der Gipfel der Genüsse. Nicht Erotik, sondern Entspannung steht im Vordergrund.
Mantra ohne Nebenwirkungen
Und dass Stricken tatsächlich entspannt, das hat jetzt auch die Harvard Medical School bestätigt. Ein gewisser Dr. Herbert Benson hat in einer Studie festgestellt: Stricken ist genauso wirksam in der Bekämpfung von Bluthochdruck und Stress wie Yoga. “Die Arbeit mit Wolle beseitigt Stress”, so Benson in seinem Buch “The Relaxation Response”. “Genau wie Meditation oder Beten ermöglicht Stricken die passive Freisetzung abschweifender Gedanken.” Und während Meditation gelegentlich zu Depression führen kann, betont Benson, dass Stricken keinerlei Nebenwirkungen mit sich bringt. “Die rhythmische und monotone Qualität des Strickens, zusammen mit dem Klicken der Stricknadeln, ähnelt einem beruhigenden Mantra. Die Gedanken können lose umher schweifen, während sich der Verstand auf die Strickarbeit konzentriert.”
Da sollen doch die Freudianer unken, was sie wollen. Von wegen Handarbeit sei ein Ausdruck sexueller Frustration - wenn sie mehr stricken würden, hätten sie vielleicht nicht so viele innere Spannungen und würden dann nicht so gemeines Zeug behaupten.
Aber ganz so spannungslindernd scheint das Stricken nun doch nicht zu sein. Mittlerweile ist der Strick-Boom schon über den Atlantik nach London geschwappt. Und wer hier an einem Samstagnachmittag der wahnwitzigen Idee verfällt, die Handarbeitsabteilung des Allerlei-Kaufhauses John Lewis an der Oxford Street aufzusuchen, ist zu bedauern.
Statt wolligem Zen bietet sich einem bei John Lewis der Anblick eines östrogenen Schlachtfelds. Im Gedränge vor den Wollregalen werden ohne Rücksicht auf Verluste die Ellenbogen ausgefahren und Mohair-Knäuel an sich gerissen. Argwöhnische Blicke verfolgen einen, wenn man sich in die meterlangen Kassenschlangen einreiht. Fragen wie “Was hat sie, was ich nicht habe?” oder “Will die blöde Kuh sich etwa vordrängen?” wabern wie giftiger Nebel in der klimatisierten Kaufhausluft - von weiblicher Solidarität keine Spur.
Stricken wie Parker
Die Erbinnen der Kampfstrickerinnen der Siebziger sind sich selbst eben die Nächsten. Hinter dem neuen Strickwahn steht kein politisches Konzept, keine Rückkehr zur Gaia, kein Aufbegehren gegen das Patriarchat durch Rückbesinnung auf urtümliche Weiblichkeit. Nein, keine Angst, die Zeiten, zu denen man sich zum gemeinsamen Menstruieren im Strickkreis unter den Vollmond gesetzt hat, sind endgültig vorbei.
Genau wie beim Yoga geht es der modernen Strickerin nicht um Weltverbesserung, sondern vielmehr um eine narzisstische Steigerung des eigenen Karmapotentials. Weil man ja letztendlich sowieso nichts verändern kann und eine Katastrophe die nächste jagt, erstrickt man sich innere Gelassenheit - nicht um irgendjemandem zu helfen, sondern um selbst so ein sozial und beruflich erfolgreicheres Individuum zu werden. An die Stelle von Utopien sind goldene Kälber wie Sarah Jessica Parker getreten, die es dem in der Wolle gefärbten Fan um jeden Preis nachzuahmen gilt.
Und die Wollindustrie freut sich. John Lewis gab vor kurzem bekannt, dass man in Großbritannien innerhalb einer Woche 93.000 Wollknäuel verkauft habe. Das bedeutet eine Steigerung von 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Und ja, die Strickwut der Britinnen sei vor allem auf das Vorbild strickender Prominente zurückzuführen, ließ das Kaufhaus verlauten, Stricken sei das neue Yoga. Wie schön. Wenn Ihnen also demnächst im Bioladen vor dem Regal mit dem balsamischen Essig etwas in die Rippen haut, dann ist das keine Gucci-Yogamatte, sondern ein Strickbeutel mit von buddhistischen Mönchen gesponnener Angora-Wolle.