presse zur land-in-sicht-lesung
Einen Überblick über ihr Schaffen gab Julia Mantel am 6. Dezember in der Buchhandlung Land in Sicht im Frankfurter Nordend. Die Veranstaltung begann zwar mit einiger Verspätung, doch das erlaubte etwas Zeit, das Umfeld etwas zu studieren.
An der Stirnwand des Raums hingen große quadratische Mosaike aus Photographien. Scheinbar nichts besonderes: Türen, Leute vor Türen, oft kommt sogar der gleiche Eingang mehrfach vor. Nicht unbedingt Leute, die man kennt. Das Rätsel löst sich aber rasch: Es handelt sich um Frankfurter Musiker vor ihrem Übungsraum. Nutzen sie das gleiche Lokal, dann stehen sie auch vor der gleichen Tür Porträt. Es handelt sich übrigens bereits um die vierte Bildserie, die unter diesem Gesichtspunkt gestaltet ist. Es begann mit Schriftstellern. Auch in jeder anderen Hinsicht zeigt das Land in Sicht seinen Bezug zum Stadtteil. An diesem unfreundlichen Dezemberabend ist wirklich Land in Sicht, wenn die beleuchteten Scheiben sich gegen die düstere Halbwirtlichkeit der Nebenstraße durchsetzt. Ein paar der Verkaufsregale sind zur Seite geschoben, in die freiwerdenden Fläche hat man ein paar Plastikstühle gestellt. Man kennt sich untereinander, der Dreadlockträger muß irgendetwas mit dem Laden zu tun haben, spricht aber nicht mit jedem. Auf einem kleinen Tischchen stehen ein paar Flaschen Wein, nichts besonderes, aber auch nicht der ganz Schlimme von der Tankstelle. Man gibt sich Mühe.
Julia Mantel raucht rote Gauloise. Eine Buchhandlung scheint also Privatgelände zu sein – anscheinend reicht die Macht der Gesundheitsbevormunder noch nicht so weit, auch hier die Lust am glimmenden Stengel zu verbieten. Der Gast beginnt, sich wohlzufühlen.
Doch Julia Mantel raucht nicht nur, sie liest auch gut, trotz Erkältung. Eine klare, ruhige Stimme trägt den Hörer von Gedicht zu Gedicht. Sie verzichtet auf Ausdruckskunststückchen, und sie hat sie auch nicht nötig. Die Texte sind selbst ausdruckvoll, um so stärker, je kürzer sie sind. Mantels Lyrik verdichtet, ohne sich in die Überformalisierung der Moderne zu zwingen. Immer bleibt sie fühlbar, immer gelingt es ihr, mit wenigen Worten ein Bild zum Leben zu erwecken, und manchmal auch, die Empfindung körperlich zu machen.
Am treffendsten gelingt ihr das in einem Vierwortegedicht aus ihrer Sammlung New Poems:
doppelbelastung einer illegalen putzfrau
ständig
boden
ständig
hoden
Leider ist die Lesung schon nach einer guten halben Stunde am Ende. Ihr Vorrat ist leer - es gibt scheints einfach nichts mehr zum Zugeben.
Man kann ihr nur wünschen, daß sie weiterschreibt, und daß wir vielleicht ein mal eine dickere Sammlung von ihr in die Hände bekommen.
Nach der Lesung gibt es noch eine kurzen musikalischen Ausklang. Begleitet von Carsten Olbrich, der in seiner eigenen Karriere als Mister Ebu firmiert, trägt Mantel noch drei Lieder vor. Leider nicht der stärkste Teil des Abends – noch ein paar Texte wären eher etwas für mein Ohr gewesen.
Am Ende hat jeder noch die Chance, sich ein paar Eindrücke von Julia Mantels Designerstücken zu machen, die sie unter dem Label Unvermittelbar vertreibt. Als ich meine Tasche packe und mich verabschiede, muß sie mich zurückrufen, um mich daran zu erinnern, daß ich das mitgenommene Buch noch nicht bezahlt habe. Es ist mir sehr peinlich. Aber wenigstens beim Wein habe ich selbst daran gedacht.
Toni Reitz
aus: eXperimenta 01/2010
January 24th, 2010 at 11:16 pm
Sehr gut! Da haben sich wohl diverse Kurse, lange Übung und Durchhaltewillen doch gelohnt! Wünsch’ dir weiter viel Glück!